Traumsammler: Roman (German Edition)
mit einem Lächeln, das einem unsichtbaren, fröhlichen Fragezeichen gleicht. Sein Gesicht ist zwar weniger faszinierend als das von Julien, aber viel sanftmütiger. Und es spiegelt – wie Pari bald merken wird – die ihm innewohnende Güte, Aufmerksamkeit und Grundehrlichkeit wider.
* * *
Sie heiraten an einem kühlen Tag im Frühling 1977, einige Monate, nachdem Jimmy Carter auf der anderen Seite des Atlantiks den Amtseid abgelegt hat. Eric besteht auf einer schlichten, standesamtlichen Trauung, bei der nur sie beide und Colette als Trauzeugin anwesend sind. Eine kirchliche Trauung mit allen Schikanen, sagt er, sei eine Extravaganz, die er sich nicht leisten könne. Sein Vater, ein wohlhabender Banker, der am liebsten groß feiern würde, bietet an, alles zu bezahlen. Eric ist immerhin sein einziges Kind. Zuerst will er ihm das Geld als Geschenk geben, dann als Darlehen. Aber Eric lehnt ab, und obwohl er es nicht zum Thema macht, ahnt Pari, dass er sie davor bewahren möchte, mutterseelenallein und ohne Angehörige, die ein paar Tränen für sie vergießen, in der Kirche zu stehen.
Als sie ihm erzählt, dass sie nach Afghanistan reisen will, versteht er dies sofort – im Gegensatz zu Julien, wie Pari denkt. Und er sagt etwas, das sie sich selbst niemals offen eingestanden hätte.
»Du glaubst, dass du adoptiert wurdest.«
»Kommst du mit?«, fragt sie.
Sie beschließen, im Sommer zu fahren, wenn Eric nicht arbeitet. Pari wird die Arbeit an ihrer Dissertation für eine Weile unterbrechen. Eric meldet sie beide für einen Farsi-Kurs bei einem Lehrer an, den er über die Mutter eines seiner Schüler aufgetan hat. Er liegt oft mit Kopfhörern auf dem Sofa, einen Kassettenrekorder auf der Brust und die Augen geschlossen, um sich besser konzentrieren zu können, und murmelt mit schwerem Akzent auf Farsi Danke und Guten Tag und Ich grüße Sie .
Kurz vor der Reise, Eric hat sich schon nach Flügen und Unterkünften erkundigt, stellt Pari fest, dass sie schwanger ist.
»Wir können trotzdem fahren«, sagt Eric. »Wir sollten fahren.«
Doch Pari entscheidet sich dagegen: »Das wäre fahrlässig«, sagt sie. Ihre Atelierwohnung hat eine defekte Heizung, die Rohre sind leck, eine Klimaanlage ist nicht vorhanden, ihr Mobiliar bunt zusammengewürfelt.
»Mit einem Baby können wir hier nicht wohnen«, sagt sie.
Eric beginnt, nebenher Klavierunterricht zu geben, etwas, womit er geliebäugelt hat, bevor er das Theater für sich entdeckte, und als Isabelle zur Welt kommt – die niedliche, hellhäutige Isabelle mit Augen von der Farbe karamellisierten Zuckers –, haben sie schon eine kleine Wohnung in der Nähe des Jardin du Luxembourg bezogen. Eric hat in diesem Fall die finanzielle Unterstützung seines Vater akzeptiert, wenn auch unter der Bedingung, das Geld nur als Darlehen anzunehmen.
Pari nimmt sich drei Monate frei und verbringt ihre Tage mit Isabelle. Sie fühlt sich federleicht, wenn sie bei ihr ist. Und wenn Eric abends von der Schule nach Hause kommt, wirft er sofort Mantel und Aktentasche in die Ecke, lässt sich auf das Sofa fallen und winkt mit ausgestreckten Armen. »Gib sie mir, Pari. Gib sie mir.« Und während er Isabelle auf seine Brust setzt, erzählt Pari von ihrem Tag, berichtet, wieviel Milch Isabelle getrunken und wie oft sie geschlafen hat, was sie gemeinsam im Fernsehen geschaut oder gespielt haben, welche Laute sie von sich gegeben hat. Eric wird es nie müde, all dies zu erfahren.
Sie haben die Reise nach Afghanistan verschoben. Und Pari muss sich eingestehen, dass ihr Drang, nach Wurzeln und Antworten zu suchen, verflogen ist. Durch Eric, der sie als Partner tröstet und stützt. Und durch Isabelle, die dafür sorgt, dass Pari wieder festen Boden unter den Füßen hat – obwohl dieser immer noch von Spalten und weißen Flecken übersät ist, von allem, was ihre Maman nicht preisgeben wollte, den vielen unbeantworteten Fragen. All das ist nach wie vor vorhanden, aber Pari ist nicht mehr so begierig auf Antworten wie früher.
Und das alte Gefühl, dass in ihrem Leben irgendetwas oder irgendjemand von grundlegender Bedeutung fehlt, ist auch abgeflaut. Es kommt zwar gelegentlich hoch – manchmal überraschend heftig –, aber seltener als früher. Pari hat sich noch nie so rundum zufrieden, glücklich und geborgen gefühlt.
1981 muss Pari zu einer Konferenz nach München. Sie ist schwanger mit Alain, Isabelle ist drei Jahre alt. Sie soll als Koautorin ein Papier über die
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