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Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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bedacht.“
    „Was?“
    „Im Sarg werden durch den Sauerstoffmangel Deine Gehirnzellen absterben. Ein irreparabler Schaden kann eintreten.“
    „Es kommt darauf an, ob sie mich überhaupt in einen Sarg legen und wenn, wie lange ich darin bleiben muss, bis sie mich wieder ausgraben.“
    „Und wenn sie dich gar nicht wieder ausgraben?“
    „Dann holst du mich raus. Wahrscheinlich bringt man mich wie Linda ins Krankenhaus, damit mein Tod offiziell und natürlich ist. Du bleibst in meiner Nähe und beobachtest, was mit mir geschieht und wohin man mich bringt. Wenn sie mich beerdigen, weißt du, wo du mich findest. Aber lass dir Zeit, hol mich nicht zu früh raus. Erst, wenn du glaubst, dass sie nicht mehr kommen, darfst du mich befreien.“
    „Ich mache da nicht mit.“
    „Es ist der letzte Gefallen, um den ich dich bitte. Ohne deine Hilfe schaffe ich es nicht. Ich kann nicht zu Marve gehen und ihn beauftragen, mir einen bokor auf den Hals zu hetzen. Jemand muss mich im Auge behalten, wenn sie mich erst vergiftet haben und mich im Notfall wieder ausgraben. Nur du kannst das für mich tun?“
    „Warum, Abby? Sag mir, warum du so ein Risiko eingehst?“
    „Als ich jünger war, hat mir Linda das Leben gerettet. Sie hat mir ihre Niere gespendet. Ohne zu zögern. Jetzt rette ich ihr Leben. Ich bin ihr zumindest den Versuch schuldig.“
    „Du wirst sterben.“
     
     
    Abby lag wach im Bett und verfolgte, wie die Lichter der Autoscheinwerfer über die Zimmerdecke glitten. Sie fand keinen Schlaf. Sie hatte Angst. Angst vor dem Unbekannten.
    Es war nicht ihre Entscheidung, den gleichen Weg, wie Linda zu gehen, die sie wach hielt. Es stand für Abby außer Frage, dass sie es versuchen musste. Nein, es war der Gedanke lebendig begraben zu werden. In einem Sarg zu liegen, ohne Luft zu bekommen. Ihr Asthma hatte ihr oft genug gezeigt, dass Ersticken kein schöner Tod sein konnte.
    Sie würde zwei Meter tief unter der Erde liegen. Fast ohne Bewegungsfreiheit. In absoluter Dunkelheit. Alles möglich konnte passieren. Sie konnte dort unten sterben.
    Noch einmal suchte sie nach einer anderen Möglichkeit, aber da war – nichts. Es war der einzige Weg, den sie auf der Suche Linda noch gehen konnte.
    Als sie sich von Jean verabschiedete hatte, war sie sich der Tragweite ihres Vorhabens nicht bewusst gewesen. Nun überfiel es sie mit einer Wucht, die sie schwindelig machte.
    Jean war nicht da, um sie von ihrer wahnwitzigen Idee abzubringen. In diesem Augenblick hätte sie ihm zugehört, hätte sich überzeugen lassen, aber Jean war nach Hause gefahren, um ein wenig zu schlafen. Er sagte, er wage es nicht, Cité Soleil nachts zu betreten. Er käme keine einhundert Meter weit, ohne dass ihm jemand die Kehle durchschnitt, um an seine Sachen heranzukommen. Morgen nach seinem Frühdienst wolle er in die Sonnenstadt gehen und mit Marve reden. Anschließend würden er und Abby sich verabreden, damit sie erfuhr, wie das Gespräch gelaufen war.
    Abby wälzte sich im Bett herum und zog die Decke enger um sich. Ihr war kalt. Inzwischen fühlten sich ihre Füße an, als wären sie erfroren. Sie spürte sie kaum noch. Die Augen fest geschlossen, wartete Abby darauf, dass der Schlaf kam. Als sie endlich einschlief, fand sie keine Erholung. Wilde Träume überfielen sie. Verdorrte Hände griffen nach ihr aus der Finsternis. Abby lag in einem schwarzen Loch und hatte Mühe zu atmen.
     
     
    21. Cité Soleil
     
    Jean Mitchard erschien um sechs Uhr morgens vollkommen übermüdet zum Dienst. Er fühlte sich ausgelaugt und hatte kaum geschlafen. Wie ein erschöpfter Läufer nach einem Marathon schlurfte er mit schweren Beinen durch den langen Flur und kniff die Augen gegen das grelle Neonlicht der Deckenbeleuchtung zusammen. In seinem Kopf tobte ein hämmernder Schmerz, aber er war viel zu müde, um dieser Sache besondere Bedeutung zuzumessen. Mochte ihm der Schädel platzen, im Moment war alles scheißegal.
    Im Zimmer des diensthabenden Arztes angekommen, schlüpfte er aus seiner Jacke und zog einen weißen Kittel an. Er hängte sich ein Stethoskop um den Hals und streifte dünne Chirurgenhandschuhe über, die innen gepudert waren, um eine übermäßige Schweißbildung zu verhindern. Die Handschuhe waren Vorschrift. In Haiti gab es mehr Aidskranke als in den ganzen USA zusammen. Viele der Armen rauchten Crack oder spritzten sich selbst gepanschte Drogen. Jeder zweite von ihnen war HIV-positiv. Er benutzte die Handschuhe nun seit einer Woche und

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