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Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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sie begannen zu jucken, aber selbst die Handschuhe waren inzwischen so kostbar, dass sie nicht mehr weggeworfen wurden.
    Jean verließ das Arztzimmer und ging den Gang zur chirurgischen Ambulanz hinunter. Der Kollege, den er vertrat, hatte sich krank gemeldet. Wahrscheinlich war er zum Surfen gefahren und hatte keine Lust mehr, ohne Bezahlung Zwölf-Stunden-Schichten zu schieben. Jean konnte es ihm nachfühlen. Aber es bedeutete, dass er sich nun diese Schicht mit einem anderen Arzt teilen musste, damit sie mit dem Krankenstand noch Schritt halten konnten. Jean war sechs Stunden dran, dann übernahm sein Kollege. Innerlich betete er, die Zeit möge schnell vergehen, aber er wusste aus Erfahrung, in der Ambulanz konnten sich sechs Stunden zu einer Ewigkeit ausdehnen.
     
     
    Jean wankte durch den Schlamm. Immer wieder wich er Urinpfützen und Fäkalien aus. Die Hütten der Bewohner von Cité Soleil waren nicht mehr als Baracken, die man auf Pfählen errichtet hatte, damit die Bewohner nicht in einem See aus Scheiße und Pisse ertranken. Mitchard sah Kinder, die ihre Mütter festgebunden hatten, damit sie nicht in den braunen Sud fielen. Der Gestank war atemraubend.
    Sein Dienst war vorüber, aber Jean fühlte sich schwächer als jemals zuvor in seinem Leben. Noch immer pochte ein dumpfer Schmerz hinter seinen Augen und machte ihm das Denken schwer. Offensichtlich hatte er sich in der eiskalten Nacht auf dem Friedhof eine Erkältung eingefangen. Erschöpfung und Schlafmangel hatten ihm den Rest gegeben.
    Zwei Aspirin und ein Tag Ruhe und mir geht’s wieder prima, dachte er, aber sein Gesicht glühte als würde es von innen heraus von Hitze zerfressen.
    Mehrfach musste er nach dem Weg fragen. Die Menschen starrten ihn an, als käme er aus dem Weltall zu ihnen herab. Immer wieder erklärte Jean, er wäre Arzt und man hätte ihn gerufen. Er wies auf seine Arzttasche, aber die misstrauischen Blicke verfolgten ihn auch weiterhin. Schließlich kam er um eine Ecke und stand vor einer Hütte, die Marves Behausung sein musste. Zwar unterschied sich ihr baufälliges Aussehen in nichts von den umstehenden Baracken, aber sie war mindestens doppelt so groß.
    Jean stieg eine Holztreppe hoch und wurde von einem schwarzen Riesen mit mächtigem Brustkorb aufgehalten. Die Augen des Wächters blieben hinter dunklen Gläsern verboten, aber die Mündung eines, auf ihn gerichteten, M-16 Gewehres sprach eine deutliche Sprache.
    „Was willst du?“, bellte der Wächter.
    „Ich möchte zu Dr. Marve.“
    „Er empfängt niemanden.“
    Jean nahm all seinen Mut zusammen. „Mich wird er empfangen. Ich habe ihm ein Geschäft vorzuschlagen.“
    Der Wächter schob die Tür zu dem Verschlag ein wenig auf und rief etwas in die Düsternis hinein. Eine unverständliche Antwort schallte zurück. Jean wurde gepackt, umgedreht und nach Waffen durchsucht. Erst nachdem sich herausstellte, dass auch der Arztkoffer keine gefährlichen Gegenstände enthielt, durfte er eintreten.
    Der Raum war weit und finster wie der Rachen einer Eidechse. Mitchard sah nichts. Er stolperte zwei Schritte vorwärts in die Dunkelheit. Ein Streichholz flammte auf und entzündete eine Wachskerze. Im Schein des schwachen Lichts machte Jean die massige Gestalt eines Mannes aus, dessen Gesicht im Schatten verborgen blieb.
    „Was wollen Sie?“, ertönte eine herrische Stimme.
    „Darf ich mich setzten?“, fragte Jean. Die Wände der Hütte drehten sich um ihn und er hatte Angst umzukippen.
    „Also, nochmals. Warum sind Sie hier?“
    „Ich möchte mit Ihnen über ein Geschäft reden.“
    „Was für ein Geschäft?“
    Mitchard riss sich zusammen. Schweiß perlte von seiner Stirn, lief ihm in die Augen, aber er bemühte sich, selbstsicher zu klingen.
    „Ich brauche einen bokor .“
    „Wofür?“
    „Er soll jemanden, der mir im Weg steht, in einen Zombie Cadavre verwandeln.“
    „Warum nicht in einen Zombie Astral ? Sie könnten Ihren Feind beherrschen.“ Jean wusste, dass man einem Zombie Astral einen Teil seiner Seele raubte, aber dies würde ihnen nicht weiterhelfen.
    „Es soll eine Bestrafung sein“, erklärte er. „Können Sie mir behilflich sein?“
    „Vielleicht“, sagte Marve unverbindlich. „Wer hat sich Ihren Zorn zugezogen?“
    „Eine blanc “, sagte Jean so verächtlich, wie er konnte. „Sie hat meine Zuneigung zurückgewiesen.“
    „Ah, ein verschmähter Liebhaber. Köstlich.“ Marve grunzte vergnügt.
    „Helfen Sie mir nun oder nicht?“
    „Aber

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