Traumschlange (German Edition)
als Schwächling erwiesen hatte und sein Stiefvater würde ihn erneut verprügeln. Noch immer schmerzten seine Zähne von den Schlägen. Seine Nase war gebrochen und derartig zugeschwollen, dass es zischte und pfiff, wenn er einatmete.
Das Schwein hatte ihn übel zugerichtet. Sein Gesicht würde nie wieder so sein wie früher, dafür hatte der Alte gesorgt.
Ein trockener Knall riss ihn aus seinen Gedanken. Zuerst dachte Ferre, jemand habe auf sie geschossen, aber dann begann der Wagen zu schlingern. Der beinahe platte Reifen war geplatzt. Patrick trat auf die Bremse. Das Heck des Wagens brach aus und der LKW schleuderte über die Strasse. Eine Felswand raste auf sie zu. Baptiste kauerte sich wimmernd in seinen Sitz, doch Patrick brachte den Wagen zum Stehen, bevor sie gegen die Felsen prallten.
Fluchend stieg er aus.
Diese Nacht wollte einfach kein Ende nehmen.
Im Licht der Taschenlampe betrachtete Abby die Straßenkarte von Haiti, die sie neben dem Stadtplan von Port-au-Prince im Handschuhfach gefunden hatte. Die Innenbeleuchtung des Renaults war zu schwach, um etwas erkennen zu können.
Sie ging davon aus, dass Jeans Entführer nach Norden fuhren. Eigentlich gab es nur einen vernünftigen Weg dort hin. Über die Küstenstrasse, der sie nach St-Marc gefolgt war und die nun ins Inland abbog. Sie würde der Strasse über Gonaïves nach Plaisance und Limbé Acul du Nord bis nach Cap Haïtien folgen und hoffen, dass sie Jeans Entführer unterwegs einholte. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie viel Vorsprung das andere Fahrzeug hatte, aber allzu viel konnte es nicht sein. Die Reifenspuren waren noch frisch gewesen.
Was sie allerdings tun konnte, wenn sie die Entführer wirklich fand, wusste Abby nicht. Sie würde sich etwas einfallen lassen.
Entschlossen startete sie den Motor und machte sich an die Verfolgung.
Abby fuhr nun schon seit einer Stunde durch die Nacht. Sie war der Verzweiflung nahe, als sie vor sich den schwachen Schein von Rückleuchten ausmachte. Sie hatte Gonaïves hinter sich gelassen und durchquerte nun eine Ortschaft mit dem Namen La Coupe. Als sie den Wagen entdeckte, ging sie vom Gas und schaltete die Scheinwerfer aus. Immer wieder aufflammende Blitze zeigten ihr einen alten Lastwagen, der in zweihundert Meter Entfernung durch die Nacht fuhr. Es mussten die Entführer sein. Es konnte, es durfte nicht anders sein, aber wer außer diesen Verbrechern wäre schon in so einer Nacht unterwegs?
Abby ließ sich weiter zurückfallen. Die Rücklichter des anderen Wagens wiesen ihr den Weg. Sie musste nur darauf achten, das Fahrzeug nicht aus den Augen zu verlieren.
Weitere zehn Minuten vergingen, bis die Bremslichter des Lastwagens aufleuchteten. Der Wagen bog in eine Nebenstrecke ab. Abby wagte es kurz den Scheinwerfer einzuschalten, als der LKW hinter einer Kurve verschwand. Ein windgeschütteltes Straßenschild verriet ihr, die Entfernungen nach St. Raphaël, Dondon und Grande Rivière du Nord. Ganz unten stand ein besonderer Name. Trou du Nord. Patrick Ferres Heimatstadt. Es konnte kein Zufall sein. Oder doch? Die tontons beherrschten diese Region von Haiti, arbeitete Patrick etwa mit ihnen zusammen?
Alles Fragen, auf die es keine Antwort gab. Abby schaltete die Scheinwerfer wieder aus und machte sich daran, den Abstand wieder zu verkleinern.
Der LKW verließ schon vor Trou du Nord, bei Ste Suzanne, die Straße und bog in eine holprige Strecke, die wieder nach Süden hinauf in die Berge ging. Abby wurde ordentlich durchgerüttelt, während sie mit dem kleinen Renault folgte. Der Wagen ächzte und schnaufte, als es immer weiter bergauf ging, aber schließlich wurde die Straße wieder besser und sie konnte in den dritten Gang schalten.
Kurz darauf endete die Fahrt vor einem Maschendrahtzaun, in den ein metallenes Schiebtor eingelassen war. Die Scheinwerfer des anderen Wagens zeigten ihr ein winziges Wärterhäuschen aus dem ein bewaffneter Mann heraustrat und ins Innere des Fahrzeugs blickte, bevor das Tor aufschob und den Wagen durchwinkte.
Sie waren am Ziel angekommen. Dies musste eine der Plantagen sein, von denen ihr Jean erzählt hatte.
Aber wie sollte sie hineinkommen?
Abby wusste es nicht. Durch das Tor auf keinen Fall. Sie musste einen anderen Weg finden.
Sie wendete den Wagen und fuhr den Weg zurück. Hinter einer Kurve lenkte sie den Renault in ein Waldstück. Die Bäume und Büsche standen hier dicht beisammen und konnten von der Straße aus nicht eingesehen
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