Traumschlange (German Edition)
fuhr durch die ausgestorben wirkende Stadt und versuchte sich zu erinnern, welchen Weg Jean durch die engen Gassen genommen hatte. Es war reines Glück, dass sie auf Anhieb die Kirche fand. Sie bremste abrupt, Kies spritzte in alle Richtungen. Abby riss die Tür auf und rannte den Pfad zu Pater Maddox’ Haus hinauf. Mit beiden Fäusten hämmerte sie gegen die Tür.
Drinnen ging Licht an. Die Tür wurde geöffnet. In ihrem Rahmen lehnte sich der Priester gegen den hereinbrechenden Wind. Hinter ihm stand eine dicke, schwarze Frau, die Abby mit ängstlichem Blick anstarrte.
Pater Maddox schien ebenso verblüfft. „Was machen Sie um diese Uhrzeit und bei diesem Wetter hier?“
„Haben Sie Jean heute beerdigt?“, stieß Abby hervor.
„Ja, aber...“
„Wo ist sein Grab?“
„Ich verstehe nicht...“
„Verdammt“, brüllte ihn Abby an. „Ich will wissen, wo sein Grab ist!“
Maddox’ Gesicht rötete sich. „Dort drüben. Hinter der Kirche ist der Friedhof.“ Seine Hand deutete in die Nacht.
„Welche Reihe?“
„Wie...?“
„Welche Reihe?“, wiederholte Abby ungeduldig.
„Ganz hinten. Neben einem Zitronenbusch.“
Ohne weiteres Wort wirbelte Abby auf dem Absatz herum und rannte zurück zum Wagen. Sie riss den Kofferraum auf und nahm eine der beiden Schaufeln heraus. Die Taschenlampe in der Hand hetzte sie zum Friedhof.
Der Regen klatschte ihr ins Gesicht, als sich Abby einen Weg durch die Gräber bahnte. Sie rutschte auf dem morastigen Boden aus und schlug der Länge nach hin, rappelte sich aber gleich wieder auf. Ihr Atem ging keuchend. Ihre Lungen brannten wie Feuer. Die Anstrengung war zuviel gewesen. Ihr Asthma machte sich bemerkbar. Abby blieb stehen. Sie zog den Inhalator aus ihrer Jackentasche und steckte sich das Plastikstück in den Mund. Zweimal presste sie den Kolben herunter, schließlich konnte sie wieder atmen.
Endlich hatte sie den Friedhof durchquert und stand vor Jeans Grab. Es war leer. Der offene Sarg lag darin, als wolle er sie für ihr Versagen anklagen. Sie hatten Jean bereits abgeholt.
Abby entdeckte Fußspuren im Matsch und folgte ihnen. Die Spuren führten sie an den westlichen Eingang des Friedhofs. Reifenabdrücke verrieten ihr, dass hier ein Fahrzeug gestanden hatte. Der unablässige Regen hatte die Rillen noch nicht ausgewaschen, somit konnte es noch nicht lange her sein.
Abby warf die Schaufel weg und hetzte zum Wagen zurück.
Patrick Ferre lenkte den Lastkraftwagen durch das Unwetter. Zwar hatte der Regen etwas nachgelassen, aber inzwischen zuckten grelle Blitze vom Himmel herab und fuhren donnernd in die Erde. Der Wind stemmte sich gegen das Fahrzeug und sie kamen nur langsam voran. Immer wieder musste er Gerölllawinen und Schlammbergen ausweichen, die von den Felsen herabgespült wurden.
Neben ihm saß der bokor Arthur Baptiste und blickte schweigend durch die verschmierten Scheiben. Sein Gesicht wurde von den Blitzen beleuchtet und er sah aus wie eine Mumie aus einem ägyptischen Grab. Ferre fürchtete den kleinen Mann. Auch diesmal hatte er bewiesen, über welche finsteren Mächte er gebot. Jean Mitchard lag halbtot hinten auf der Ladefläche und wurde von einem tonton mit Namen Pierre bewacht. Eigentlich gab es keinen Grund für eine Bewachung, denn Mitchard war gefesselt und die Droge hatte seinen Verstand ausgelöscht, aber hier vorn im Führerhaus war nicht genug Platz für drei Männer.
Baptiste begann zu summen. Patrick kannte das Lied nicht und das Geräusch ging ihm auf die Nerven. Er war angespannt. Nicht nur wegen der ermüdenden Fahrt durch den Sturm, die seine Augen brennen ließ, es war vor allem die Angst vor Baptiste.
In einen lebenden Untoten verwandelt. Was für ein Schicksal, dachte er und schauderte.
Mitchard war nicht der erste Zombie, dem er begegnete. Sein Stiefvater beschäftigte inzwischen nur noch Arbeitssklaven, die der bokor zu einem Dasein zwischen Leben und Tod verdammt hatte, aber er war noch nie dabei gewesen, wie man einen dieser Verfluchten aus dem Grab gezerrt hatte.
Nie wieder, schwor er sich, mache ich so eine Scheiße mit.
Mochte sich Castor anstellen, wie er wollte. Es gab Grenzen. Seine Grenze war in dieser Nacht überschritten worden. Ihn ekelte vor sich selbst. Am liebsten hätte er das Wagen angehalten und sich den Finger in den Hals gesteckt. Er wollte sich übergeben, bis sein Magen nichts mehr hergab. Aber daran war nicht einmal zu denken. Baptiste würde Castor erzählen, dass er sich
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