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Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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amputiert hatte, wie ein Mund ohne Stimme. Außerdem würden sich die Behörden einen Dreck um seinen Tod scheren, wohingegen ihr Ableben für eine gewisse Aufregung gesorgt hätte. Immerhin war ihre Schwester erst vor einer Woche gestorben. Ein merkwürdiger Umstand.
    Ich bin so naiv, fluchte Abby innerlich. Durch meine Dummheit und meinen Willen jedes Risiko bei der Suche nach Linda einzugehen, habe ich Jean in Lebensgefahr gebracht.
    Wenn er noch nicht tot war und Abby hoffte es von ganzem Herzen, dann lag er jetzt unter zwei Meter Erde und wartete darauf, dass sie kam und ihn ausgrub.
    Ihre Gedanken jagten sich. Wie lange lag er schon da unten? Sechs Stunden? Acht Stunden? Sie wusste es nicht. Je später am Tag man ihn begraben hatte, desto wahrscheinlicher war es, dass er noch genug Sauerstoff hatte. Aber sie musste sich beeilen.
    Sie ging zum Schrank hinüber, zog einen Pullover an und schlüpfte in eine Windjacke. Die Turnschuhe quietschten auf dem Holzboden, als sie zur Tür ging.
    „Bleiben Sie hier“, rief ihr Morse flehend nach.
    Abby beachtete ihn nicht mehr, sondern rannte die Treppe hinunter.
    Hoffentlich waren die Schaufeln noch im Wagen.
     
     
    Jean wurde durch ein dumpfes Klopfen geweckt. Das Holz in seinem Rücken vibrierte. Er registrierte sofort, dass er wieder etwas fühlen konnte. Versuchsweise bewegte er einen Finger. Es klappte. Der Finger krümmte und öffnete sich. Die ganze Hand allerdings blieb unbeweglich wie der Rest seines Körpers. Er blinzelte ein Staubkorn aus den Augen. Noch ein Fortschritt. Das Atropin wirkte also doch. Jean spürte, wie sich seine Blase entleerte. Warmer Urin lief ihm das Bein hinab. Anscheinend hatte die Lähmung auch bestimmte innere Organe betroffen, die sich nun bemerkbar machten, nachdem das Gift nachließ.
    Mitchard hätte jubeln können. Sein Körper gehorchte ihm teilweise wieder und die Geräusche, die von draußen in den Sarg drangen, verrieten ihm, dass Abby gekommen war, um ihn zu befreien.
    Ein metallisches Geräusch erklang. Metall traf auf Holz. Etwas scharrte über den Sarg. Dann wurde der Sargdeckel aufgestemmt. Das gleißende Licht einer Taschenlampe blendete seine Augen, zwang ihn, sie zu schließen. Er versuchte etwas zu sagen, aber seine Zunge blieb unbeweglich.
    Kräftige Hände packten ihn und hoben ihn aus dem Sarg. Er wurde auf den schlammigen Boden gelegt. Finger rissen seine Augenlider auf. Noch immer war da dieses grelle Licht. Er konnte nichts sehen. Tränen liefen an Jeans Wangen herunter.
    Eine Stimme begann leise zu singen. Dann wurde er angesprochen.
    „Jean Mitchard.“
    Das war sein Name. Eine männliche Stimme. Nicht Abby.
    „Jean Mitchard.“
    Finger drückten grob seinen Mund auf. Ein Becher wurde an seine Lippen gesetzt. Jean trank hustend. Es schmeckte wie Galle.
    „Jean Mitchard“, flüsterte die fremde Stimme erneut. „Erwache.“
    Dann schlug ihm jemand ins Gesicht. Hart und brutal. Jean konnte dem Schlag nicht ausweichen, er hatte ihn nicht einmal kommen gesehen. Wieder wurde er geschlagen. Und dann noch einmal.
    Eine Welle von Schmerzen flutete durch seinen Körper.
    „Fesselt ihn und werft ihn auf den Wagen“, befahl die fremde Stimme. Jean wurde von beiden Seiten unter den Achseln gepackt. Seine Füße schleiften über den Boden, als man ihn wie ein Stück Vieh aus dem Friedhof zerrte.
    Der dunkle Schatten eines Fahrzeugs tauchte aus der Dunkelheit. Erst jetzt wurde Jean bewusst, dass es regnete und der Wind an seiner Kleidung zerrte. Man fesselte ihm Hände und Füße und stopfte ihm brutal einen Knebel zwischen die Zähne. Er konnte kaum noch atmen, als man ihn auf die Ladefläche des Lastwagens warf.
     
     
    24. Gottes Faust
     
    Abby raste die Hügel von Pétonville nach Port-au-Prince hinab. Die Straße war ein metallisch glänzender Wurm, der in den Abgrund kroch. Regen peitschte unablässig gegen die Windschutzscheibe. Die Wischblätter kämpften einen aussichtslosen Kampf. Abby hatte das Fernlicht eingeschaltet, damit sie überhaupt etwas erkennen konnte.
    In jeder zweiten Kurve hatte sie das Gefühl, der Sturm würde den Wagen packen und, wie von Gottes Faust geschleudert, in den Graben werfen. Trotzdem nahm sie den Fuß nicht vom Gas.
    Sie erreichte die Hauptstadt. Nur wenige Straßenlaternen flackerten noch müde im Wind. Keine Menschenseele war auszumachen. Selbst die allgegenwärtigen Hunde und Schweine hatten sich vor dem Unwetter verkrochen. Der Wagen schlingerte, als Abby abrupt in eine

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