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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Sattel. Melissa nahm Winds Zügel und besänftigte sie.
    »Was machst du?«
    Schlange lehnte sich an die Höhlenwand und versuchte, den Laternenschein bisins Innere der Öffnung zu lenken.
    »Wir können hier nicht bleiben«, sagte sie. »Wir müßten verdursten oder verhungern. Vielleicht führt durch dieses Loch ein Weg in die Stadt.«
    Sie erhielt keinen allzu tiefen Einblick in die Spalte; sie befand sich noch zu weit darunter. Aber der Panther war auf jeden Fall spurlos verschwunden. Schlange hörte ihre eigene Stimme widerhallen, als wären jenseits der schmalen Kluft zahlreiche Hohlräume.
    »Oder sonstwohin.« Sie drehte sich, ließ sich abwärts in den Sattel rutschen, sprang hinunter und begann die graue Stute abzuzäumen.
    »Schlange?« sagte Melissa leise.
    »Ja?«
    »Schau... verdecke die Laterne...« Melissa deutete auf den Fels überm Höhleneingang.
    Schlange schirmte die Laterne ab, und sofort war die undeutliche Gestalt in zudringlicher Weise gegenwärtig. Sie verspürte ein Frösteln an ihrer Wirbelsäule. Sie hob die Laterne und trat näher.
    »Das ist eine Malerei«, sagte sie.
    Die Abbildung hatte sich nur scheinbar bewegt; sie zeigte eine spinnenartige Gestalt, die über die Wand zu kriechen schien, aber aus nichts anderem bestand, als aus Farbe. Eine sehr geschickte optische Täuschung; selbst jetzt noch, als Schlange wußte, worum es sich handelte, blieb der Eindruck erhalten, als würde die Gestalt auf sie zukriechen.
    »Wozu sie wohl gut sein mag?« Auch Melissas Stimme ertönte nur im Flüsterton.
    »Vielleicht, um den Ausgang anzuzeigen... und das hieße, dort ist irgend etwas tiefer im Berg.«
    »Aber was soll aus Wind und Eichhörnchen werden? Wir können sie nicht hier zurücklassen.«
    »Wenn wir ihnen kein Futter besorgen«, sagte Schlange leise, »müssen auch sie hungern. «
    Melissa starrte zum Fluchtweg des Panthers empor; das bläuliche Licht schimmerte auf ihrem entstellten Gesicht.
    »Melissa«, meinte Schlange plötzlich, »hörst du das?«
    Irgend etwas hatte sich verändert, aber sie vermochte nicht wahrzunehmen, was. Brüllte in einiger Entfernung der schwarze Panther? War es die Stimme desjenigen, der das Spinnensymbol an die Höhlenwand gemalt hatte? Ihre Finger krümmten sich um den Griff des Messers an ihrem Gürtel.
    »Der Wind hat sich gelegt«, sagte Melissa.
    Sie lief zum Zugang der Höhle. Schlange folgte ihr dichtauf, um sie notfalls vor der Gewalt des Sturms zurückzureißen. Aber ihre Tochter hatte recht: Ihr war kein neues Geräusch aufgefallen, sondern das unvermittelte Ende eines Dauergeräusches, an das sie sich inzwischen gewöhnt gehabt hatten. Nichts regte sich. Draußen war die Luft vollkommen still. Die niedrigen Staubwolken hatten die Wüste überquert und waren verschwunden, zurückgeblieben waren dicke Wattegebirge von Gewitterwolken, durchsetzt mit Flecken eines prächtig blauen Himmels. Schlange trat hinaus in den seltsamen Glanz dieses Morgens, und ein kühler Windstoß ließ ihre Robe um ihre Knöchel flattern.
    Urplötzlich fing es zu regnen an. Schlange lief unter die Tropfen, hob ihnen die Arme entgegen wie ein Kind. Eichhörnchen trottete an ihr vorbei und verfiel in einen Galopp. Wind überholte ihn, und beide tänzelten und bäumten sich wie blutjunge Füllen. Melissa stand ruhig und blickte empor, ließ den Regen ihr Gesichtwaschen. Über ihren Köpfen zogen die Wolken langsam vorüber, eine langgestreckte, breite Wolkenbank, aus der nun Regen herabgoß, bis dann für einen flüchtigen Augenblick Sonnenschein herabglitzerte wie ein Kolibri. Nach einer Weile kehrten Schlange und Melissa in die Deckung der Höhle zurück, durchnäßt und glücklich, obwohl sie nun froren. Ein dreifacher Regenbogen wölbte sich über den Himmel. Schlange seufzte und kauerte sich auf die Fersen, um ihn zu bewundern. Sie verfolgte den Farbenwechsel, das Hin- und Herschillern der Farben durch ihr Spektrum, so gebannt, daß sie den Zeitpunkt verpaßte, als sich Melissa neben sie setzte. Zuerst war sie nicht da, dann war sie es plötzlich; und Schlange legte einen Arm um die Schultern ihrer Tochter. Diesmal lehnte sich Melissa in entspannter Haltung an sie, nicht länger ganz so stark jeder Berührung durch einen anderen Menschen abgeneigt.
    Die Wolken zogen weiter, der Regenbogen verblaßte, und Eichhörnchen kam zurück zu Schlange getrottet, so naß, daß man nicht nur die Farbe, sondern auch die Hautbeschaffenheit seiner Streifen genau erkennen konnte.

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