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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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bedeckte Holzkohle die Erde, aber Schlange hatte kein Brandholz. Sie kannte sich zu gut aus, um zu versuchen, die Allzeitbäume zu fällen, anders als es irgendwann irgendwelche anderen Reisenden versucht hatten, die bei diesen vergeblichen Bemühungen lediglich die Kerben von Axthieben in der Baumrinde hinterließen, mittlerweile halb zusammengewachsen. Das Holz darunter war so hart und widerstandsfähig wie Stahl.
    Nachts war das Reisen in den Bergen nicht weniger anstrengend als am Tage in der Wüste, und der unbeschwerte Rückweg von der Stadt hatte nicht die Mühen der gesamten Reise ausgeglichen. Schlange stieg ab. Hier konnten sie übernachten, und bei Sonnenaufgang... Bei Sonnenaufgang, was dann? Viele Tage lang war sie ununterbrochen in höchster Eile gewesen, hatte im Wettlauf mit Krankheiten, dem Tod und dem unerbittlichen Sand gestanden, und nun mußte sie für einen Moment verharren und sich langsam vergegenwärtigen, daß sie nicht länger irgendeinen Grund zur Hast besaß, daß kein überwältigend dringender Anlaß vorhanden war, so schnell wie möglich von hier nach dort zu eilen, daß es nicht länger nötig war, sich nach einigen Stunden des Schlafs am Morgen oder am Abend müde aufzurappeln. Ihr Heim erwartete sie, aber sie war nicht allzu sehr davon überzeugt, daß es auch weiterhin ihr Zuhause blieb, sobald sie sich erst einmal dort befand. Sie brachte nichts mit als die Kunde ihres Versagens, sonstige schlechte Neuigkeiten und eine übelgelaunte Sandnatter, die vielleicht nützlich war, vielleicht auch nicht. Sie nahm die Schlangenschachtel vom Pferd und stellte sie behutsam ab. Nachdem sie die Pferde abgerieben hatten, kniete sich Melissa zwischen das Gepäck und begann ihre Nahrungsvorräte und den Paraffinkocher herauszuholen. Dies war das erste Mal, seit sie Berghausen gemeinsam verlassen hatten, daß sie ein richtiges Lager aufschlugen. Schlange hockte sich bei ihrer Tochter auf die Fersen, um ihr beim Zubereiten des Essens zu helfen.
    »Ich mache das schon«, sagte Melissa. »Warum ruhst du dich nicht aus?«
    »Das fände ich ungerecht«, antwortete Schlange.
    »Es macht mir nichts aus.«
     
    »Darum geht es nicht.«
    »Ich erledige so etwas gerne für dich«, sagte Melissa.
    Schlange senkte ihre Hände auf Melissas Schultern, zwang sie jedoch nicht zum Umdrehen, drängte sie nicht einmal.
    »Das weiß ich. Aber ich erledige auch gerne etwas für dich.«
    Melissas Finger handhabten flink Schnallen und Gurte.
    »Das ist nicht richtig«, sagte sie schließlich. »Du bist eine Heilerin, und ich..., ich habe in einem Stall gearbeitet. Richtig ist, daß ich Dinge für dich mache.«
    »Wer sagt denn, daß Heilerinnen mehr Rechte haben als jemand, der in einem Stall arbeitet? Du bist meine Tochter, und wir sind Partner.«
    Melissa warf sich an Schlanges Brust und drückte sie fest, verbarg ihr Gesicht an Schlanges Kleid. Schlange umarmte sie, preßte sie an sich, schaukelte sie, während sie beide am harten Erdboden kauerten, tröstete Melissa, als sei sie ein viel kleineres Kind, das zu sein sie in Wahrheit niemals die Gelegenheit hatte. Nach einigen Augenblicken lockerten sich Melissas Arme, sie wich zurück, wieder selbstbeherrscht, den Blick verlegen abgewandt.
    »Es gefällt mir nicht, nichts zu tun.«
    »Wann hast du das denn jemals wirklich versuchen dürfen?« Melissa hob die Schultern. »Wir können uns abwechseln«, schlug Schlange vor. »Oder die Aufgaben täglich verteilen. Was wäre dir lieber?«
    Melissa erwiderte ihren Blick mit einem flüchtigen Lächeln der Erleichterung. »Die Aufgaben zu verteilen.« Sie schaute rundum, als sähe sie den Lagerplatz zum ersten Mal. »Vielleicht liegt irgendwo in der Nähe totes Holz«, sagte sie. »Und Wasser brauchen wir auch.« Sie griff nach dem Lederriemen zum Holzsammeln und dem Wasserschlauch. Schlange nahm ihr den Wasserschlauch ab.
    »In ein paar Minuten bin ich wieder hier. Wenn du kein Holz findest, verschwende nicht zuviel Zeit mit dem Suchen. Wahrscheinlich verbraucht im Frühjahr der erste Reisende alles, was im Winter herabfällt. Falls hier im Frühling ein erster Reisender vorbeikommt.«
    Der Ort wirkte nicht nur, als sei jahrelang niemand vorübergezogen, er erregte zugleich ein spürbares Gefühl von Verlassenheit. Die Quelle sprudelte geschwind an ihrem Lagerplatz entlang, und wo Wind und Eichhörnchen gesoffen hatten, war kein Schlamm, aber Schlange folgte dem Verlauf des Rinnsals ein kurzes Stück weit in

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