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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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da, seit er es aufgegeben hatte, in die Ferne zu starren, wo die östliche Wüste lag, wo dichte Wolkenbänke sich stürmisch dahinwälzten. Die tödlichen Winde verwandelten die scharfkantigen Sandkörner in fürchterliche Geschosse. In einem solchen Sturm hätte auch die dickste Kleidung Arevin nicht schützen können, und selbst der größte Mut und die verzweifeltste Entschlossenheit wären nutzlos gewesen. Nur ein paar Augenblicke in der Wüste hätten ihn jetzt das Leben gekostet; nach einer Stunde wären nur noch seine blankgeschmirgelten Knochen übrig. Im Frühjahr ließe sich von ihm keine Spur finden. Sollte Schlange noch in der Wüste sein, dann war sie nun tot. Er weinte nicht. Wenn es feststand, daß sie tot war, wollte er sie beklagen. Aber er glaubte nicht an ihren Tod. Er überlegte, ob es albern sei, sich darauf zu verlassen, daß er es spüren müsse, wäre Schlange nicht länger am Leben. Er hatte schon viel über sich nachgedacht, aber sich noch nie die Frage gestellt, ob er womöglich ein Narr sei. Stavins älterer Vater, Arevins Verwandter, hatte es gespürt, als sein Kleiner krank war; er war mit seiner Herde einen Monat früher als gewöhnlich zurückgekehrt. Familien-und Liebesbande verknüpften ihn mit Stavin, nicht solche des Blutes. Arevin versicherte sich, daß die gleichen Anlagen in ihm wirkten.
    Jemand pochte an die Tür. »Herein«, sagte Arevin widerwillig.
    Larril, die Dienerin, die sich als Schlange ausgegeben hatte, betrat das Zimmer.
    »Geht es dir gut?«
    »Ja.«
    »Soll ich dir ein Abendessen bringen?«
    »Ich dachte, sie sei in Sicherheit«, sagte Arevin. »Aber sie ist in der Wüste, und die Stürme sind ausgebrochen.«
    »Sie hatte genug Zeit, um das Zentrum zu erreichen«, sagte Larril. »Sie ist früh genug aufgebrochen.«
    »Ich habe ziemlich viel von der Stadt gehört«, sagte Arevin. »Ihre Bewohner können grausam sein. Wenn man ihr nun keinen Zutritt gewährt hat?«
    »Ihr stand sogar noch ausreichend Zeit zur Rückkehr zur Verfügung.«
    »Aber sie ist nicht zurückgekehrt. Niemand hat sie gesehen. Wäre sie zurückgekommen, es wäre allgemein bekannt.«
    Larril schwieg; er faßte ihr Schweigen als Zustimmung auf, und sie blickten beide trübsinnig zum Fenster hinaus.
    »Vielleicht...« Larril unterbrach sich.
    »Was?«
    »Vielleicht solltest du dich nun erst einmal hier ausruhen und auf sie warten, nachdem du an so vielen Orten nach ihr gesucht hast...«
    »Du wolltest eigentlich etwas anderes sagen.«
    »Nein...«
    »Bitte sag‘s mir.«
    »Es gibt im Süden noch einen Paß. Er wird nicht länger benutzt. Aber er liegt dem Zentrum näher als wir.«
    »Du hast recht«, sagte er bedächtig, während er sich die Karte im Kopf genau vorzustellen versuchte. »Könnte sie diesen Weg eingeschlagen haben?«
    »Du dürftest dergleichen schon oft gehört haben«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Es tut mir leid.«
    »Ich danke dir trotzdem«, sagte Arevin. »Vielleicht wäre er mir selbst aufgefallen, wenn ich mir noch einmal die Karten angeschaut hätte, aber vielleicht hätte ich auch alle Hoffnung verloren. Ich werde morgen in diese Richtung aufbrechen.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe einmal auf sie zu warten versucht und es nicht ausgehalten. Wenn ich‘s noch einmal versuchte, würde vielleicht bald der Verrückte aus mir, mit dem man mich zuerst verwechselt hat. Ich stehe in deiner Schuld.«
    Sie schaute zur Seite. »Jeder in diesem Haus steht in deiner Schuld. Auf eine Weise, die man gar nicht begleichen kann. «
    »Macht euch nichts daraus«, sagte er. »Es soll vergessen sein.«
    Das schien sie zu beruhigen. Arevin blickte wieder aus dem Fenster.
    »Die Heilerin war sehr freundlich zu mir«, sagte Larril, »und du bist ihr Freund. Kann ich irgend etwas für dich tun?«
    »Nein«, antwortete Arevin. »Nichts.«
    Sie zögerte, wandte sich um und ging. Nach einem langen Moment bemerkte Arevin, daß er noch nicht das Geräusch der Tür vernommen hatte. Er blickte über seine Schulter und sah sie sich soeben schließen.
    Der Verrückte konnte oder wollte sich nach wie vor nicht an seinen Namen entsinnen. Oder vielleicht kommt er von einem Stamm wie Arevins Klan, dachte Schlange, und verrät Fremden seinen Namen nicht. Aber Schlange konnte sich den Verrückten nicht als Angehörigen von Arevins Klan vorstellen. Jenes Völkchen war von ausgeglichenem Gemüt und schätzte die Selbstbeherrschung; der Verrückte war launisch und sprunghaft. In dem einen Moment dankte er ihr

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