Traumschlange
Ketten erzählten.
Diesmal lächelte Arevin. »Richtet der Heilerin meine Worte aus«, sagte er. »Dann entscheidet, ob es der Ketten bedarf.«
Brian half dem Bürgermeister beim Aufstehen. Der Bürgermeister sah die Wächterin an, die an Arevins Unschuld glaubte.
»Haltet euch bereit. Ich schicke nach ihm.«
Sie nickte. »Jawohl, Herr.«
Als die Wächterin erneut eintrat, geschah es nicht allein in Begleitung weiterer Wächter, sondern auch mit Ketten. Entsetzt starrte Arevin die Eisen an, die schauderhaft klirrten. Er hatte gehofft, daß Schlange die nächste Person sei, die durch diese Tür kam. Fassungslos erhob er sich, als die Wächterin sich ihm näherte.
»Es tut mir leid«, sagte sie. Sie legte einen kühlen metallenen Reifen um seine Hüften, schloß sein linkes Handgelenk in eine Schelle, führte die Kette durch einen Ring an dem Reif und befestigte dann die Kette an einer Schelle um sein rechtes Handgelenk. Man führte ihn in den Korridor. Er wußte, daß Schlange ihm so etwas nie antäte. Falls doch, dann hatte es die Person, an die er in seiner Gedankenwelt geglaubt hatte, in der Wirklichkeit niemals gegeben. Mit einem richtigen, körperlichen Tod, ihrem oder auch seinem, hätte er sich leichter abgefunden.
Vielleicht hatten die Wächter etwas mißverstanden. Vielleicht war die Nachricht, als sie sie erreichte, verstümmelt gewesen, oder man hatte sie so hastig übermittelt, daß niemand noch daran dachte, Bescheid zu sagen, daß man auf die Ketten verzichten konnte. Arevin beschloß, diesen Irrtum, obwohl er ihn demütigte, mit Stolz und Gutwilligkeit zu ertragen. Die Wächter geleiteten ihn durch helles Tageslicht, das ihn vorübergehend blendete. Dann betraten sie wieder das Innere eines Gebäudes, und dort vermochten seine Augen sich nicht gleich wieder ans Halbdunkel zu gewöhnen. Blindlings erstieg er inmitten der Wächter Treppen, auf deren Stufen er gelegentlich stolperte. Der Raum, in den man ihn brachte, war fast dunkel. Er blieb auf der Schwelle stehen; er konnte die in Decken gehüllte Gestalt, die mit dem Rücken zur Tür in einem Sessel saß, kaum erkennen.
»Heilerin«, sagte ein Wächter, »hier ist jemand, der behauptet, er sei dein Freund.«
Sie sagte nichts, bewegte sich nicht. Arevin stand vor Schrecken reglos. Wenn jemand sie überfallen hatte, wenn sie so schwer verletzt war, daß sie nicht länger zu sprechen oder sich zu rühren vermochte, nicht zu lachen, wenn jemand von Ketten für Arevins Hände redete...! Voller Furcht trat er um einen Schritt vor, dann noch einen, innerlich vom Wunsch beseelt, hinzustürmen und ihr zu versichern, daß er sich um sie kümmern werde, und gleichzeitig verzweifelt vom Verlangen besessen, sie nicht anders wiederzusehen als lebend, gesund und bei Kräften. Er sah eine ihrer Hände matt herabbaumeln. Er ließ sich neben der verhüllten Gestalt auf die Knie sinken.
»Schlange...«
Die Ketten behinderten ihn. Er nahm ihre Hand und beugte sich vor, um sie zu küssen. Kaum hatte er sie berührt, erkannte er, noch ehe er die glatte, völlig narbenfreie Haut sah, daß es sich nicht um Schlange handelte. Mit einem Ausruf der Verzweiflung schrak er zurück.
»Wer ist das?«
Die verhüllte Gestalt warf die Decken beiseite und stieß ebenfalls einen Schrei aus, einen Laut der Scham. Sie fiel vor Arevin auf die Knie und und streckte ihm die Hände entgegen, Tränen auf den Wangen.
»Ich bedaure, was ich getan habe«, sagte sie. »Bitte, verzeih mir...«
Sie sank vornüber, und langes schwarzes Haar hing um ihr schönes Gesicht. Aus der Finsternis einer Ecke kam der Bürgermeister gehumpelt. Diesmal half Brian Arevin beim Aufstehen, und einen Moment später schepperten die Ketten auf den Fußboden.
»Ich mußte einen tauglicheren Beweis als blaue Flecken und Ringe haben«, sagte der Bürgermeister. »Jetzt glaube ich dir.«
Arevin hörte seine Worte, aber er verstand nicht ihren Sinn. Er begriff nur eines: Schlange war nicht hier, sie war nirgendwo. An einem so läppischen Auftritt hätte sie niemals teilgenommen.
»Wo ist sie?« fragte er leise.
»Sie ist weitergezogen. Zur Stadt. Zum Zentrum.«
Arevin saß auf einer bequemen Couch in einem Gästezimmer des Bürgermeisters, Schlange sollte ebenfalls in genau diesem Raum gewohnt haben, aber wie sehr er sich auch bemühte, Arevin vermochte von ihrer vorherigen Gegenwart nichts zu spüren. Die Vorhänge waren noch geöffnet, obwohl draußen bereits Dunkelheit herrschte. Arevin saß ruhig
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