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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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so etwas zu ihr sagen?«
    Verwirrt blinzelte er. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Du kommst mit uns, verstanden? Bleib auf dem Pfad. Ich halte sie zurück, und wir warten auf dich.«
    Sie stieß Wind ihre Fersen in die Flanken und sprengte Melissa hinterdrein. Hinter ihr ertönte die fassungslose Stimme des Verrückten.
    »Aber warum hat sie denn jetzt das gemacht?«
    Schlange sorgte sich durchaus nicht um Melissas oder Eichhörnchens Sicherheit. Ihre Tochter konnte in diesen Bergen jedes beliebige Pferd den ganzen Tag lang reiten, ohne sich oder ihr Reittier in Gefahr zu bringen. Und auf dem zuverlässigen Tigerpony war sie doppelt sicher. Aber der Verrückte hatte sie gekränkt, und Schlange wollte sie nicht allein mit ihrem Kummer lassen. Sie mußte nicht weit reiten. Wo der Pfad wieder anstieg und über einen Hang oberhalb eines Tals auf einen weiteren Berg führte, stand Melissa neben Eichhörnchen und streichelte seinen Hals, während das Pony mit der Nase ihre Schulter stupste. Als sie Winds Hufschlag hörte, wischte sich Melissa das Gesicht am Ärmel ab und drehte sich um. Schlange stieg ab und ging zu ihr.
    »Ich hatte schon befürchtet, du reitest uns allzu weit voraus«, sagte sie. »Ich bin froh, daß du es nicht getan hast.«
    »Man kann von einem Pferd nicht erwarten, daß es bergauf galoppiert, nachdem es erst vor kurzem lahm war«, sagte Melissa in sachlichem Ton, aber mit einer Spur von Mißmut.
    Schlange hielt ihr Winds Zügel hin. »Wenn du für ein Weilchen schnell und ausgiebig reiten möchtest, überlasse ich dir gerne Wind.«
    Melissa blickte sie an, als versuche sie in Schlanges Miene den Sarkasmus wahrzunehmen, den sie in ihrer Stimme vielleicht vermißt hatte. Sie erkannte nichts dergleichen.
    »Nein«, antwortete Melissa. »Das muß nicht sein. Vielleicht wäre mir nachher wohler, aber ich komme auch so zurecht. Es ist eben... ich möchte nicht einfach vergessen. Jedenfalls nicht auf diese Weise.«
    Schlange nickte. »Das ist mir klar.«
    Melissa umarmte sie auf ihre unvermittelte, leicht befangene Art. Schlange tätschelte ihre Schulter.
    »Er ist nun einmal verrückt.«
    »Ja.«
    Langsam löste sich Melissa aus Schlanges Armen. »Ich sehe ein, daß er dir nützlich sein kann. So leid es mir tut, ich kann nichts dagegen machen, daß ich ihn abscheulich finde. Ich habe es versucht.«
    »Ich auch«, sagte Schlange. Sie setzten sich und warteten darauf, daß der Verrückte im gemächlichen Trott seines Gauls des Weges käme.
     
    Schlange sah die zerstörte Kuppel, noch bevor der Verrückte überhaupt den Bergpfad oder die Gegend wiedererkannt hatte. Sie betrachtete das gewölbte Gebilde mehrere Augenblicke lang, ehe sie verblüfft bemerkte, was sie da sah. Zunächst wirkte sie lediglich wie eine der vielen Hügelkuppen, welche der Gebirgszug umfaßte; nur ihre Farbe – grau statt schwarz – hatte Schlanges Aufmerksamkeit erregt. Sie hatte mit der üblichen Halbkugel gerechnet, nicht mit einer fürchterlich unregelmäßigen grauen Oberfläche, die am Abhang lag wie eine zerflossene Amöbe. Das durchsichtige Grau, das im wesentlichen erhalten war, wies Streifen anderer Farben auf und war gegenwärtig gerötet von der nachmittäglichen Sonne. Ob das Bauwerk sofort in asymmetrischer Form errichtet oder als halbkugelige Kuppel hingestellt und erst später durch die von der früheren Zivilisation des Planeten entfesselten Gewalten geschmolzen und verformt worden war, vermochte Schlange nicht zu sagen. Aber es befand sich schon seit sehr langer Zeit im jetzigen Zustand. In den Mulden und Senken der Oberfläche hatte sich Schmutz abgelagert, und in geschützten Taschen gediehen dicht an dicht Gras, Sträucher und sogar Bäume. Für eine Weile ritt Schlange stumm weiter, kaum fähig zu glauben, daß sie dieses Ziel endlich erreicht hatte. Dann berührte sie Melissas Schulter; mit einem Ruck blickte das Kind von der bedeutungslosen Stelle in Eichhörnchens Nacken auf, die es seit geraumer Zeit anstarrte. Schlange deutete nach vorn. Melissa sah die Kuppel, und aus Aufregung und Erleichterung entfuhr ihr ein gedämpfter Ausruf, dann lächelte sie. Schlange lächelte ebenfalls.
    Hinter ihnen sang der Verrückte eintöniges Gebrummel, sich ihres Ziels noch gar nicht gewahr. Eine zerstörte Kuppel. Die beiden Wörter schienen nicht recht zusammenzupassen. Kuppeln widerfuhr keine Zerstörung, sie verfielen nicht, sie blieben unverändert. Sie waren ganz einfach vorhanden, geheimnisvoll und

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