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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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unzugänglich.
    Schlange brachte ihre Stute zum Stehen und wartete wieder einmal auf den Verrückten. Als das alte Pferd heranwankte und neben Wind verharrte, wies sie aufwärts. Der Verrückte lenkte seinen Blick mühselig in die Richtung, wohin sie zeigte. Er zwinkerte, als könne er nicht richtig glauben, was er sah.
    »Ist sie das?« fragte Schlange.
    »Noch nicht«, sagte der Verrückte. »Nein, noch nicht, ich bin noch nicht vorbereitet...«
    »Wie gelangen wir hinauf? Kann man reiten?«
    »North wird uns sehen...«
    Schlange zuckte mit den Schultern und stieg vom Pferd. Die Kuppel lag oberhalb eines reichlich steilen Hangs, und einen Pfad konnte sie nicht erkennen.
    »Also laufen wir.« Sie löste Winds Sattelgurte. »Melissa, du...«
    »Nein«, sagte Melissa mit heftigem Nachdruck. »Ich bleibe nicht hier, wenn du mit dem da hinaufgehst. Eichhörnchen und Wind können für eine Zeitlang allein bleiben, und an die Schachtel wird sich niemand heranmachen. Außer vielleicht irgendein anderer Verrückter, und dann wird er nur bekommen, was er verdient.«
    Schlange begann zu begreifen, warum ihr eigener Starrsinn den älteren Heilern bisweilen ein gewaltiges Maß an Geduld abgefordert hatte, als sie selbst in Melissas Alter war. Aber in der Niederlassung gab es natürlich kaum ernsthafte Gefahren, und daher hatte man ihr meistens ihren Willen lassen können. Schlange setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und winkte ihre Tochter heran. Melissa gehorchte, aber ohne Schlange anzusehen, und ihre Schultern waren aus Trotz verkrampft.
    »Ich benötige deine Hilfe«, sagte Schlange. »Ohne dich kann ich keinen Erfolg haben. Sollte mir etwas zustoßen...«
    »Das wäre kein Erfolg!«
    »In bestimmter Hinsicht doch. Melissa... die Heiler brauchen Traumschlangen. Da oben in der Kuppel hat man so viele, daß man sie zum Vergnügen verwendet. Ich muß herausfinden, woher diese Traumschlangen stammen. Aber wenn mir das nicht gelingt, wenn ich nicht von dort zurückkehre, bietest du allein die Gewähr dafür, daß die anderen Heiler erfahren, was aus mir geworden ist. Und warum es so kam. Nur durch dich können sie dann noch von diesen Traumschlangen erfahren.«
    Melissa starrte auf die Erde und rieb den Knöchel der einen mit den Fingernägeln der anderen Hand.
    »Das ist dir sehr wichtig, oder?«
    »Ja.«
    Melissa ließ einen Seufzer vernehmen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt.
    »Na gut«, sagte sie. »Was soll ich tun?«
    Schlange drückte sie an sich. »Wenn ich in... hm... zwei Tagen nicht zurück bin, nimm Wind und Eichhörnchen und reite nach Norden. Du mußt bis über Berghausen und Mittenweg hinaus. Es ist eine weite Strecke, aber in der Schachtel ist viel Geld. Du weißt, wie man es ungefährdet herausholen kann.«
    »Ich habe meinen Lohn«, sagte Melissa.
    »Gewiß, aber das andere gehört auch dir. Die Fächer, in denen Dunst und Sand sind, brauchst du überhaupt nicht zu öffnen. Sie können mit Leichtigkeit überleben, bis du daheim eintriffst.« Zum ersten Mal erwog sie ernsthaft die Möglichkeit, daß Melissa allein heimreiten mußte. »Sand wird sowieso zu dick.«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln.
    »Aber...« Melissa sprach nicht weiter.
    »Wenn dir etwas geschieht, kann ich doch nicht rechtzeitig zurück sein, um dir zu helfen, weil ich erst den ganzen Weg zu den Heilern und wieder zurück reiten muß.«
    »Falls ich nicht von selbst wiederkomme, gibt es auch kein Mittel, um mir zu helfen. Bitte folge mir nicht. Bitte! Ich muß genau wissen, daß du das nicht machst.«
    »Wenn du in drei Tagen nicht zurück bist, gehe ich zu den Heilern und erzähle ihnen von den Traumschlangen.«
    Schlange gestand ihr den zusätzlichen Tag mit einem gewissen Gefühl der Dankbarkeit zu.
    »Danke, Melissa.«
    Sie ließen das Tigerpony und die graue Stute auf einer Lichtung in der Nähe des Pfads zum Weiden frei. Aber statt umherzulaufen und sich am Gras gütlich zu tun, blieben die Tiere dicht beieinander stehen, unruhig und wachsam, ihre Ohren drehten sich unablässig, ihre Nüstern waren geweitet. Das alte Pferd des Verrückten stand abseits allein im Schatten, den Kopf gesenkt. Melissa beobachtete die Tiere; ihre Lippen waren zusammengepreßt. Der Verrückte stand noch, wo er vorhin abgestiegen war, und starrte Schlange an, in den Augen Tränen.
    »Melissa«, sagte Schlange, »wenn du daheim ankommst, vergiß nicht zu erwähnen, daß ich dich adoptiert habe. Dann... dann werden sie dort wissen, daß du auch

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