Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
Vom Netzwerk:
aufnehmen zu dürfen. Aber mein Vater und ich würden Berghausens Ehre schädigen, ließen wir es zu, daß dir etwas anderes als die allerbeste Unterkunft geboten wird.«
    »Danke«, sagte Schlange. Allmählich begann sie Dankbarkeit, obwohl noch immer kein uneingeschränktes Behagen, für die Großzügigkeit und Gastfreundlichkeit zu empfinden, mit denen man Heilern entgegentrat. »Ich nehme eure Einladung an. Allerdings sollte ich wohl im Gasthaus Bescheid geben. Die Apothekerin schickt möglicherweise Leute zu mir.«
    Gabriel sah sie an. Im Schatten der Kapuze ließ es sich nicht genau erkennen, aber man konnte nicht ausschließen, daß er lächelte.
    »Heilerin, um Mitternacht wird jeder im Tal wissen, wo du anzutreffen bist.«
    Gabriel geleitete sie durch Straßen, die sich an den Hängen der Berge entlangwanden, hindurch zwischen einstöckigen Gebäuden aus Quadern schwarzen Steins. Die Pferdehufe und die Stiefel Schlanges und Gabriels waren auf dem Kopfsteinpflaster laut vernehmlich, hallten deutlich wider. Die Reihen der Häuser endeten schließlich, und die Straße verbreiterte sich zu einer gepflasterten Serpentine, die von einer senkrechten Steilwand, an deren Fuß der Talboden lag, nur durch ein dickes, hüfthohes Mäuerchen getrennt wurde.
    »Gewöhnlich hätte mein Vater dich persönlich willkommen geheißen«, bemerkte Gabriel. Sein Tonfall klang nicht nach Bedauern, sondern nach Unsicherheit, als habe er ihr etwas einzugestehen, das er nicht recht auszudrücken wußte.
    »Ich bin es ohnehin nicht gewohnt, durch Würdenträger empfangen zu werden«, sagte Schlange.
    »Ich möchte zuerst klarstellen, daß wir dich unter allen Umständen eingeladen hätten, auch wenn mein Vater nicht...« Seine Stimme sank herab.
    »Ach«, meinte Schlange, »dein Vater ist krank.«
    »Ja.«
    »Es braucht dir nicht unangenehm zu sein, mich um Beistand zu ersuchen«, sagte Schlange. »Das ist ja mein Beruf. Und wenn ich bei dieser Gelegenheit für ein Weilchen in ein freies Zimmer ziehen kann, so ist das eine unerwartete Gunst.«
    Sie schwiegen, während sie den Weg fortsetzten. Die Serpentine wand sich um einen gewaltigen Felsvorsprung, der die Sicht nach vorn versperrte; als sie die Biegung passierten, sah Schlange erstmals das Haus des Bürgermeisters. Es war weitflächig und hoch, an die Schrägfläche einer Klippe gebaut. Die schwarzen Steine waren dicht unterhalb des Dachs durch schmale weiße Streifen aufgehellt; dabei handelte es sich um zwei nach Osten und Süden gewandte Reihen von Solarzellenfeldern. Die Fenster der oberen Räume besaßen riesige Flächen, und ihre Bogen waren im Umriß der Türme an den Seiten des Hauptgebäudes ausgeführt. Das Licht, das durch die Scheiben hineindrang, enthüllte keinen Makel im Glas. Trotz dieser Fenster und der prächtigen Schnitzereien an den hohen, hölzernen Portalen war das Haus ebenso eine kleine Festung wie ein Prunkbau.
    Das Erdgeschoß wies keine Fenster auf, und die Portale wirkten solide und wuchtig. Die rückwärtige Seite war durch einen anderen Bergvorsprung abgeschirmt. Der gepflasterte Hof grenzte an die Klippe, die oberhalb weder so steil noch so hoch war wie unterhalb der Stelle, wo Schlange gegenwärtig stand. Ein mit Laternen gesäumter Pfad führte vom Haus hinunter zum Fuß der Klippe, wo Ställe waren und sich ein Flecken Weideland erstreckte.
    »Das ist ein sehr beeindruckender Wohnsitz«, sagte Schlange.
    »Das Haus gehört Berghausen, aber mein Vater wohnte schon vor meiner Geburt darin.«
    Sie schritten auf der gepflasterten Serpentine weiter.
    »Erzähl mir von der Erkrankung deines Vaters.« Sie war davon überzeugt, daß sie nicht allzu ernst sein könne, da Gabriel nach ihrer Ansicht andernfalls mehr Besorgnis gezeigt hätte.
    »Es war ein Jagdunfall. Ein Freund stach ihm versehentlich eine Lanze ins Bein. Er will nicht einmal zugeben, daß es entzündet ist. Er fürchtet, man könne es ihm amputieren.«
    »Wie sieht es denn aus?«
    »Ich weiß es nicht. Er läßt es mich gar nicht anschauen. Seit gestern durfte ich überhaupt nicht zu ihm.« Er sprach mit bekümmerter Resignation.
    Besorgt sah Schlange ihn an, denn wenn sein Vater so halsstarrig und furchtsam war, beträchtliche Schmerzen zu ertragen, war das Bein vielleicht bereits so stark entzündet, daß man das Gewebe abschreiben konnte.
    »Ich verabscheue Amputationen«, sagte Schlange wahrheitsgemäß. »Du würdest kaum glauben, welchen Mühen ich mich schon unterzogen habe, um

Weitere Kostenlose Bücher