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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Tal. Der Fernblick beherrschte den Raum völlig – und das hatte man begriffen, denn es gab darin keine Möbelstücke, die davon hätten ablenken können, nur dicke, große Kissen in unaufdringlichen Farben. Der Fußboden hatte zwei Ebenen, eine höhere in Halbkreisform, wohin die Treppe führte, und eine niedrigere in Form einer breiten Ringfläche, die an das Fenster grenzte. Schlange vernahm wütendes Geschrei, und einen Moment später kam aus einem benachbarten Raum ein alter Mann geeilt, prallte gegen Gabriel und warf ihn aus dem Gleichgewicht. Der Jüngere ruderte mit den Armen und packte den Alten krampfhaft am Ellbogen, während der Alte sich, ebenfalls um Halt zu erlangen, zugleich an ihn klammerte. Die beiden starrten einander ernst an, sich der Komik ihrer Situation anscheinend nicht bewußt.
    »Wie geht es ihm?« erkundigte sich Gabriel.
    »Schlechter«, antwortete der Alte. Er heftete seinen Blick auf Schlange. »Ist das die...?«
    »Ja, ich habe die Heilerin mitgebracht.« Er wandte sich ihr zu, um ihr den Alten vorzustellen. »Dies ist Brian, Gehilfe meines Vaters. Zur Zeit kann kein anderer in seine Nähe kommen.«
    »Und jetzt darf auch ich‘s nicht länger«, sagte Brian. Er strich sich seinen dichten weißen Schopf aus der Stirn. »Er will mir auch nicht das Bein zeigen. Dabei schmerzt es so sehr, daß er unter die Decken ein Kissen gelegt hat, damit sie es weniger belasten. Dein Vater ist ein Starrkopf, junger Herr. «
    »Niemand weiß das besser als ich.«
    »Schluß mit dem Lärm vor meiner Tür!« brüllte Gabriels Vater heraus. »Habt ihr denn gar keinen Respekt? Verschwindet aus meinen Räumen!«
    Gabriel straffte seine Schultern und sah Brian an.
    »Gehen wir lieber hinein.«
    »Ich nicht, junger Herr«, widersprach Brian. »Er hat mich hinausgeworfen. Er sagte, ich solle nicht wiederkommen, ehe er ruft, falls er mich überhaupt jemals wieder rufen sollte.« Der Alte senkte den Blick.
    »Gleichgültig. Er meint es nicht ernst. Er würde dich niemals vorsätzlich kränken.«
    »Glaubst du das wirklich, junger Herr? Glaubst du, er wollte mich eigentlich gar nicht beleidigen?«
    »Dich doch nicht. Du bist unentbehrlich für ihn. Im Gegensatz zu mir.«
    »Gabriel...« begann der Alte, nun weniger untertänig als zuvor.
    »Entferne dich nicht zu weit«, sagte Gabriel in zuversichtlichem Tonfall. »Ich bin sicher, daß er sehr bald nach dir rufen wird.«
    Er betrat das Schlafzimmer seines Vaters. Schlange schloß sich ihm an. Ihre Augen mußten sich erst allmählich an die Dunkelheit darin gewöhnen, denn die Vorhänge waren vor die Fenster des geräumigen Schlafzimmers gezogen, und die Lampen brannten nicht.
    »Hallo, Vater«, rief Gabriel.
    »Hinaus. Ich habe dir geboten, mich nicht zu belästigen.«
    »Ich habe eine Heilerin mitgebracht.«
    Wie jeder Bewohner Berghausens sah auch Gabriels Vater ungemein gut aus. Das konnte Schlange trotz der Sorgenfalten erkennen, die sein ausdrucksvolles Gesicht zeichneten. Seine Gesichtshaut war bläßlich, die Augen waren schwarz, das schwarze Haar wirkte durch seine Bettlägerigkeit zerzaust. In gesunder Verfassung mußte er eine herrische Persönlichkeit sein, jemand, der jede beliebige Gruppe von Menschen, in der er sich bewegte, bald maßgeblich zu beeinflussen vermochte. Er war auf völlig andere Art als Gabriel ansehnlich, eine Art, die Schlange zwar wahrnahm, die sie jedoch nicht anzog.
    »Ich brauche keine Heilerin«, sagte er. »Verschwindet. Brian möchte kommen.«
    »Du hast ihn erschreckt und gekränkt, Vater.«
    »Ruf ihn.«
    »Er käme, würde ich ihn rufen. Aber er kann dir nicht helfen. Die Heilerin kann es. Bitte...« Gabriels Stimme näherte sich allmählich dem Tonfall der Verzweiflung.
    »Gabriel, zünde bitte die Lampen an«, sagte Schlange. Sie trat vor und damit an das Bett des Bürgermeisters. Als Gabriel gehorchte, wandte sich sein Vater vom Licht ab. Seine Lider waren verquollen, die Augen blutunterlaufen. Er bewegte nur den Kopf.
    »Es kann nur schlimmer werden«, sagte Schlange, »es sei denn, Sie wollen sich überhaupt nicht bewegen. Schließlich werden Sie auch gar nicht länger dazu in der Lage sein, weil das Gift sie zu sehr geschwächt hat. Und dann werden Sie sterben.«
    »Ausgerechnet du willst mir etwas über Gift erzählen!«
    »Mein Name ist Schlange. Ich bin Heilerin. Ich vergifte niemanden.«
    Er reagierte nicht auf die Bedeutung ihres Namens, dagegen aber Gabriel, der sich nach ihr umdrehte und sie mit erneuertem

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