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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Berghausens kannten Heiler von früheren Besuchen. Ihre Haltung zu ihnen besaß einen Einschlag von Bewunderung und Vorsicht, hatte jedoch nichts zu tun mit der Furcht, die Schlange auf der anderen Seite der Wüste angetroffen hatte. An Vorsicht war Schlange gewohnt; sie entsprang gesundem Menschenverstand, denn für jeden außer ihr konnten Dunst und Sand gefährlich sein. Schlange dankte für respektvolle Grußworte mit einem Lächeln, während sie ihre Pferde die Kopfsteinpflasterstraßen entlang führte. Läden wurden geschlossen, man öffnete Wirtshäuser. Morgen würden sich Menschen bei ihr einzustellen beginnen, um ihre Hilfe zu erbitten, aber sie hoffte, daß sie sich heute abend darauf beschränken durfte, das behagliche Zimmer eines Gasthauses, ein gutes Essen und eine Flasche Wein zu genießen. Die Wüste hatte sie bis auf die Knochen ausgemergelt. Sollte sich heute und so spät noch jemand an sie wenden, dann mußte es sich schon um eine ernste Erkrankung handeln. Sie hoffte, daß am heutigen Abend in Berghausen niemand im Sterben lag.
    Sie ließ ihre Pferde vor einem noch geöffneten Geschäft stehen und kaufte sich nach vager Schätzung und der Beratung durch den Inhaber neue Hosen und ein neues Kleid; um sie anzuprobieren, war sie viel zu müde.
    »Macht nichts«, meinte der Inhaber. »Ich kann die Sachen nachträglich ändern, wenn du es möchtest. Oder du bringst sie zurück, wenn sie dir nicht stehen. Für eine Heilerin tausche ich auch um.«
    »Sie gefallen mir bestimmt«, sagte Schlange. »Danke.«
    Sie bezahlte und verließ das Geschäft. An der Ecke befand sich eine Apotheke; die Apothekerin schickte sich gerade an, die Tür abzuschließen.
    »Entschuldigung«, sagte Schlange.
    Mit einem Lächeln der Resignation wandte die Frau sich um. Dann sah sie, während sie Schlange und ihre Tiere musterte, die Schlangenschachtel. Das Lächelnwich einem Ausdruck von Überraschung. »Heilerin«, rief sie. »Tritt ein! Was brauchst du?«
    »Aspirin«, antwortete Schlange. Sie besaß nur noch sehr wenig davon, und in ihrem eigenen Interesse wollte sie es nicht vollends ausgehen lassen. »Und Alkoholjodtinktur, wenn du welche hast.«
    »Ja, natürlich. Das Aspirin stelle ich selbst her, und die Jodtinktur reinige ich noch einmal, wenn sie geliefert wird. Bei mir gibt‘s keine Pfuscherei.« Sie füllte Schlanges Fläschchen. »Es ist schon lange her, daß ein Heiler in Berghausen war.«
    »Die Gesundheit und Schönheit der Berghauser sind weithin bekannt«, sagte Schlange, und das war nicht bloß eine nichtige Schmeichelei. Sie schaute sich in der Apotheke um. »Du hast ein ausgezeichnetes Sortiment. Ich vermute, du hast für so gut wie alles etwas.«
    An einer Stelle in den Regalen hatte die Apothekerin Schmerzmittel bereitstehen, jene von der überwältigend starken Art, die den Körper schwächen, statt ihn zu beleben. Schlange vermied es, sie eingehender zu begutachten, weil sie sich zu sehr schämte, um welche zu kaufen und damit Gras‘ Verlust so bald von neuem zuzugeben. Doch falls es in Berghausen einen Schwerkranken gab, mußte sie möglicherweise darauf zurückgreifen.
    »Ach, wir kommen ganz gut zurecht«, meinte die Apothekerin. »Wo wirst du dich einquartieren? Darf ich Leute zu dir schicken?«
    »Natürlich.«
    Schlange nannte ihr das Gasthaus, welches ihr Grum empfohlen hatte, bezahlte die Mittel und verließ die Apotheke mit der Frau, die die Gegenrichtung einschlug. Allein ging Schlange die Straße hinunter. Eine Gestalt in einer Robe erschien urplötzlich am Rande von Schlanges Blickfeld.
    Schlange wirbelte herum und duckte sich zur Abwehrhaltung nieder. Wind schnob und tänzelte seitwärts. Die verhüllte Gestalt verharrte. Verlegen richtete sich Schlange auf. Die Person, die sich ihr genähert hatte, trug keine Wüstenrobe, sondern einen Mantel mit Kapuze. Sie konnte das Gesicht nicht erkennen, weil die Kapuze es überschattete, aber dies war jedenfalls kein Verrückter.
    »Kann ich dich einen Moment lang sprechen, Heilerin?« Die Stimme zeugte von Bedenken.
    »Gewiß.« Wenn der Mann sich nicht zu ihrem ungewöhnlichen Verhalten äußerte, durfte auch sie getrost darüber hinweggehen.
    »Mein Name ist Gabriel. Mein Vater ist Bürgermeister dieser Ortschaft. Ich komme, um dich einzuladen, Gast in unserem Hause zu sein.«
    »Das ist sehr freundlich. Eigentlich wollte ich zum Gasthof...«
    »Ein hervorragendes Gasthaus«, sagte Gabriel. »Der Wirt würde es als große Ehre betrachten, dich

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