Traumschlange
Schlanges Seite mit, unbehelligt durch seinen ungeschützten Vorderhuf. Die Stute, ausgeruht und gutgenährt, wäre am liebsten sofort in einen Galopp verfallen, aber Schlange zügelte sie. Vor ihnen lag noch ein langer Weg.
Wind schnob, und Schlange erwachte mit einem Ruck, stieß beinahe mit dem Schädel an den Felsüberhang. Es war totenstiller Nachmittag; sie hatte sich zu einem Nickerchen in den einzigen Schatten weit und breit zurückgezogen.
»Wer ist da?« Niemand antwortete. Es gab eigentlich keinen Grund, wieso jemand in der Nähe sein sollte. Zwei Nächte trennten sie von Grums Oase und der nächsten Oase vor den Bergen; heute lagerte Schlange in steiniger Wildnis. Darin gab es keine Pflanzen, keine Nahrung und kein Wasser.
»Ich bin eine Heilerin«, rief sie und fühlte sich dabei reichlich albern. »Sei vorsichtig, meine Schlangen sind frei. Sprich oder zeige dich oder gib irgendein Zeichen, dann rufe ich sie zurück.«
Keine Antwort. Hier ist niemand, deshalb, dachte Schlange. Um der Götter willen, es verfolgt dich doch niemand durch die Wüste. Verrückte verfolgen niemanden. Sie sind einfach..., verrückt.
Sie streckte sich wieder aus und versuchte weiterzuschlafen, aber jedes Geräusch des Sandes, den der Wind gegen Felsen blies, schreckte sie auf. Sie fühlte sich nicht wohl, bis das abendliche Zwielicht herauf zog, sie das Lager abbrach und nach Osten strebte. D
Der steinige Pfad bergaufwärts verlangsamte die Pferde, und Eichhörnchen lahmte wieder auf seinem schutzlosen Vorderhuf. Schlange hinkte selbst ein wenig, denndie Änderungen von Höhe und Temperatur beeinflußten ihr kränkliches rechtes Knie. Doch das Tal, welches Berghausen einschloß, war nicht mehr weit, nur noch etwa eine Marschstunde entfernt. Anfangs war der Pfad sehr steil gewesen, aber sie befanden sich nun auf dem Paß; bald mußten sie den höchsten Punkt der östlichen Bergkette überwunden haben. Schlange stieg regelmäßig ab, um Wind Entlastung zu gönnen.
Sie kraulte Eichhörnchen an der Stirn, während das Pony an ihren Taschen herumknabberte, und schaute über die Wüste zurück. Dünne Staubwolken verhingen den Horizont, aber die näheren Dünen aus schwarzem Sand lagen wie mächtige Wogen schummrig unter ihr ausgebreitet, spiegelten das abendlich gerötete Sonnenlicht wider. Hitzeflimmern täuschte Bewegung vor. Einmal hatte eine von Schlanges Lehrerinnen ihr das Meer beschrieben, und sie nahm an, daß es so ähnlich aussah. Sie war froh, daß die Wüste nun hinter ihr lag. Die Luft war bereits kühler, und Gras und Sträucher klammerten sich zählebig in Mulden voller nahrhafter vulkanischer Asche. Weiter unten wehte der Wind Sand, Erdreich und Asche von den Seitenhängen der Berge. Diese dürren, abgehärteten Pflanzen wuchsen an geschützten Stellen, aber es war zu ihrem Gedeihen nicht viel Wasser vorhanden. Schlange kehrte der Wüste den Rücken zu und führte ihr Tigerpony und das Pferd weiter aufwärts. Ihre Stiefel rutschten auf vom Wind geglättetem Stein. In dieser Gegend fiel ihr die Wüstenrobe lästig, so daß sie sie abstreifte und hinterm Sattel festband. Die weite Hose und das kurzärmelige Gewand flatterten nun im Wind um ihre Beine und gegen ihren Leib. Der Wind blies stärker, während sich Schlange der Höhe des Passes näherte, weil der schmale Einschnitt im Berggestein wie ein Windkanal wirkte, der auch die leiseste Brise kräftigte. In einigen Stunden würde es kühl sein. Kühle! Sie vermochte sich eine derartige Wohltat kaum vorzustellen.
Schlange erreichte die Paßhöhe und trat auf die Schwelle zu einer anderen Welt. Als sie über das grüne Tal blickte, war ihr zumute, als müsse ihre Pechsträhne hinter ihr in der Wüste zurückbleiben. Eichhörnchen und Wind hoben die Köpfe, schnupperten und schnoben, als sie die Gerüche saftiger Weiden, frischer Gewässer und anderer Tiere wahrnahmen. Der Ort breitete sich nach beiden Seiten der Landstraße aus, die das Tal durchquerte, Gruppierungen steinerner Häuser, an die Berge gelehnt, auch herausgehauen, Schwarz in Schwarz zu Terrassenbauten verschachtelt. Den Talboden bedeckten die Felder, smaragdgrün und goldgelb rings um einen glitzrig grauen Fluß angeordnet. Auf der anderen Seite des Tales, höher als Schlanges diesseitiger Standort, befand sich eine Waldwildnis, die bis hinauf unter die kahlen Felsengipfel im Westen reichte. Schlange nahm einen tiefen Atemzug klarer Luft und begann den Abstieg.
Die stattlichen Bewohner
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