Traumtagebuecher
woran ich mich in schlechten Zeiten festhalten konnte. Einen Kuss, der niemals stattgefunden hatte. Der kleine Anker für den guten Teil meines Selbst.
Ich wandte mich ab. David sollte nicht sehen, wie sehr mich schmerzte, was er mir an diesem Morgen bereits weggenommen hatte. Zu meinem Glück sah er nicht hoch. Nichts in seinem Verhalten ließ darauf schließen, dass er mich überhaupt wahrgenommen hatte. Geschweige denn, dass er bald mit seinem Training aufhören würde. Natürlich nicht, er hatte ja noch 30 Minuten. Genau wie ich.
Desillusioniert ging ich durch den Garten. Ein Teil von mir hatte doch tatsächlich auf Davids Vergebung und Freundschaft gehofft – auch wenn ich mir das bis zu diesem Augenblick nicht hatte eingestehen wollen. Deswegen fühlte ich mich wohl auch immer noch so leer und seltsam erschöpft, als ich meine kleine Parzelle erreichte. Ihr Anblick und die Tatsache, dass sie bereits im Licht der Morgensonne badete, trösten mich nur bedingt. Ein bisschen mehr half der Anblick der ersten großen Kohlrabi. Ein wenig nachlässig prüfte ich die Johannisbeeren, wunderte mich, weil ich mir damals aus einer Laune heraus auch schwarze gekauft hatte, die mir ja eigentlich gar nicht schmeckten (uneigentlich auch nicht) und pflückte eine der reifen Himbeeren ab, um mit ihrem Geschmack meinen Kummer zu vertreiben. Sie schmeckte faulig, und ich spuckte sie ins Gebüsch, bevor ich mich meinem Weltschmerz hingab.
Immerhin konnte ihn hier niemand sehen.
Sogar Davids blöde Katze Tiger hielt sich von hier fern. Nicht ganz von alleine, aber nachdem ich sie an meinen Beeten erwischt und mit unreifen Beeren beworfen hatte, half das frisch gepflanzte Anti-Katzen-Kraut Verpiss dich hervorragend.
Mit einem kleinen Seufzer setzte ich mich auf die Holzbank im hinteren Teil meines Paradieses. Das Holzgestell, welches mein Gemüse und meine Blumen vom Rest des Familiengartens trennte, war mit Weinreben überwuchert, ein idealer Zufluchtsort um allein zu sein.
»Du solltest nicht alleine sein.«
Ich schniefte. »Gibt es hier ein lautes Gedankenecho?«
Max grinste und quetschte sich neben mich. Erst nach einem kurzen Zögern, gerade lange genug, um ihm deutlich zu machen, dass er eigentlich nicht erwünscht war, rutschte ich ein Stück und bot ihm mehr Platz.
»Ehrlich, Liz. Er ist ein Doofmann.«
Ein Doofmann, über den ich im Moment nicht reden wollte. Eigentlich nie wieder. Deswegen wechselte ich das Thema. »Wieso bist du noch hier, musst du montags nicht aufs College?«
»Was ist wichtiger, mein College oder meine kleine Schwester?« Max` Lächeln war gewinnend, und obwohl ich nicht eine Sekunde lang glaubte, dass eine rhetorische Frage an der Stelle das Richtige war, fühlte ich mich geschmeichelt. Ich wollte es glauben.
»Es tut mir leid, dass ich David nicht überzeugen konnte …« Seine Stimme wurde leiser, beschwichtigend. »Wahrscheinlich braucht er noch ein wenig Zeit, um sich damit anzufreunden, dass du nicht die Böse bist.«
Soviel zu meinem Themenwechsel.
»Im Augenblick wäre ich gerne die Böse, ehrlich …«
Max lachte – und wechselte das Thema. »Was ist mit den Träumen? Ich habe dich heute Nacht wieder gehört.«
Verdammt!
Ich starrte meinen sonnigen Garten an, der mit einem Mal gar kein friedlicher Ort mehr war. Jeder einzelne schlechte Traum, jede Lüge wegen der ständigen Alpträume lastete auf meiner Seele und verfinsterte die Welt ein wenig.
»Ich hatte einen Alptraum«, gab ich zu. Aus Gewohnheit fügte ich eine Lüge hinzu. »Vom Brand.« Wahrscheinlich war das mit der Ehrlichkeit doch gar nicht so einfach, wie man immer denkt. Ich strich mit den Fingerspitzen über meine linke Hand und das etwas rosigere Gewebe der Narben nach oben hinauf.
»Du musst dich ablenken, Sis.« Max lehnte sich ebenfalls vor und spiegelte meine Körpersprache. »Mach normale Sachen. Geh aus, such dir ein Hobby, vielleicht eine AG an der Schule? Du bist jetzt eine Woche da und hast noch nichts gemacht. Dabei könntest du zu den Cheerleadern, in den Glee-Club, Schach- oder Theaterspielen.«
»Das kann ich nicht.«
»Was davon?«
»Alles.«
»Du kannst singen.«
»Ich WILL nicht singen. Nicht, wenn jemand zuhört.«
Bevor ich einordnen konnte, was mir gerade die Wange hinablief, hatte mich Max in den Arm genommen und zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich … großer Gott, war ich das, die gerade in den Armen ihres Stiefbruders lag und heulte? Ich machte mich von Max
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