Traumtagebuecher
Wunschdenken, natürlich.
»Natürlich«, wiederholte ich meinen letzten Gedanken laut und blinzelte zweimal, um mich zu vergewissern, dass ich mich in der Realität befand. Nicht in einem Traum. Einem ziemlich guten.
»Dein Herz ist noch frei …« David schnaubte abfällig und sah zu, wie Elijah hoch erhobenen Hauptes durch die Menge der anderen Schüler schritt. Erst als er im Inneren der Schule verschwunden war, drehte sich mein Stiefbruder wieder zu mir. Seine Augen funkelten gefährlich und forderten mich auf, seinem Urteil, »Wow, was für ein Spinner!«, zu widersprechen.
Gott sei Dank, war noch jemand auf dieser Schule meiner Meinung. Auch, wenn das ein weiterer Punkt war, den ich offiziell nicht zugeben würde. Zumindest nicht ausgerechnet vor David.
»Aber ein erfolgreicher«, gab ich zurück.
»Bei dir auch?« Unter seiner Belustigung schwang noch etwas anderes mit. Eine Drohung? Ich zögerte kurz und versuchte zu ergründen, ob sie mir oder Elijah galt – oder gänzlich meiner Einbildungskraft entsprungen war.
»Nein.«
»Gut.« Davids Selbstzufriedenheit setzte die Wut auf ihn frei, die ich seit sechs Jahren im Herzen trug. Er ging doch nicht etwa davon aus, dass ich in all der Zeit auf ihn gewartet hatte, oder?
»Was sonst?«
»Wie, was sonst?«
»Klang vorhin wie eine Drohung …«
David hielt meinem Blick stand und verzog die Lippen ein wenig. Das halbe Lächeln sah beinahe so böse aus, wie das, das Jonah stets für mich reserviert hatte und irritierte mich mehr als mir lieb war. Es lenkte meine Gedanken zurück in die Zeit, wo ich mir nichts sehnlicher gewünscht hatte, als zu probieren, ob Davids Lippen so weich und zärtlich waren, wie ich es mir vorstellte. Ich sah zuerst weg.
»Wieso weiß Mr. Ich-will-alle-Frauen-und-zwar-gleichzeitig, ob dein Herz noch frei ist … obwohl du mit mir weggehst?« Einzig Davids Geste und das passende würgende Geräusch, mit dem er sich den Finger in den Hals steckte, ließen seine Worte nicht eifersüchtig, sondern wie die eines großen Bruders klingen.
Ich klammerte mich geistig an dem klitzekleinen guten Teil meines Selbst fest und ignorierte das Teufelchen, welches »eifersüchtig?« fragen wollte. Stattdessen gelang mir ein: »Was hattest du erwartet? Dass ich, wie der Rest der Meute, in dich oder Jonah verknallt bin?«
»Wäre jetzt nicht die schlechteste Wahl.«
Jetzt war ich es, die beinahe brechen musste. Unter Davids breitem Grinsen drehte ich mich zum Sprecher um und starrte in einen Bund Grünzeug, welches mir auf Augenhöhe entgegengehalten wurde. Etwas weiter oben waren die weißen Blüten. Lilien.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«
»Totenblumen? Wie subtil …« Ich ließ zu, dass mir Jonah die Blumen in die Hand drückte. Die Linke, die Rechte war ja schon durch die roten Rosen belegt.
»Tja, so bin ich … delikat und exquisit …«
Der ernste Gesichtsausdruck meines Lieblingsfeindes brachte mich entgegen meiner guten Vorsätze zum Lachen. Und das delikate und exquisite Grinsen auf seinen Lippen vertrieb fast den Gedanken daran, dass das hier mein privater Teufel war. Mit Totenblumen im Gepäck. Ich war wirklich leicht zu beeinflussen. Hormone sag ich nur, Hormone.
»Wenn wir schon bei Synonymen sind: Ich dachte eher an mit Schwierigkeiten verbunden und diffizil .«
»Gott, bist du … süß.« Jonah trat einen Schritt vor, so dass er schräg vor mir stand und ich nur noch seinen Rücken sehen konnte. Die Audienz war beendet, der Feind wandte sich seinem Freund, meinem Bruder, zu.
»Du hast heute ein DATE mit ihr?«
»Hallo? SIE hört zu.«
Jonah ignorierte mich. David sowieso.
»Nein, kein Date … ein Geburtstagsgeschenk.«
»Wer war denn Option drei?«
»HALLO? Welche Option drei?«
Wieder wurde ich ignoriert. War ich überhaupt noch anwesend, oder war mein Körper schon gegangen und hatte meinem Geist nicht Bescheid gesagt?
»Ach, nur der Stufensprecher von ihr.«
Genau, NUR der Stufensprecher … Deswegen ging ich auch mit meiner Ex-Liebe David aus … Jonahs Achselzucken ging mir sogar von hinten auf besagten Geist. Großartig. Mein Leben war einfach nur großartig.
Der Rest des Schultages stand dem Anfang in keiner Weise nach. Von Justus und Rebecka bei jeder sich bietenden Gelegenheit wegen der Toten- und Liebesblumen aufgezogen, hatte ich das Gestrüpp schließlich unter Aufbietung aller meiner Packkünste in meinem Spind verstaut. Trotz meiner Aversion gegen die beiden Schenker, brachte ich es
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