Traumtrunken
entwickelte sich doch nach und nach eine große Sehnsucht daraus.
Und jetzt stand er hier: Braungebrannt und mit schmutzigem T-Shirt. Schwarze Augen lächelten sie an und Michaela dachte im ersten Moment, sie würde träumen.
„Rico!“
Freudig sprang er in ihre Arme und hielt sich an ihr fest.
„Für dich“, sagte er dann, als er sich von ihr löste. Er griff in seine Hosentasche und zog etwas heraus, was in ein weißes Tuch gewickelt war.
Eine Muschel, groß wie Michaelas Handfläche. „Die ist aber schön.“ Michaela hielt sie an ihr Ohr und lauschte. „Danke!“
Dann zeigte sie ihm die Wohnung. Atze war noch nicht da, obwohl morgen Feiertag war.
In der Küche machte sie für sich und Rico ein paar Brote zurecht. Sie nahm die Teller mit ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein.
„Was möchtest du schauen?“, fragte sie den Kleinen, der neben ihr Platz genommen hatte und zwei von den Broten in sich hineinstopfte.
Rico antwortete nicht. Er lächelte nur.
Klar, wer weiß, ob er sie verstand. Michaela suchte einen Kindersender, da klingelte es.
„Das ist Atze“, sagte sie im Hinausgehen zu Rico.
Der lächelte mit vollem Mund.
***
„Das sieht aber mager aus!“ Atze setzte sich auf die Couch und betrachtete die halbe Scheibe Brot, die auf seinem Teller lag. „Bin ich auf Diät?“ Er griff zu.
„Atze! Kannst du ...“ Michaela winkte ab. „Ich mach dir schon noch was!“ Sie ging in die Küche.
Atze streckte die Füße aus, lehnte sich zurück und nahm die Fernbedienung.
Seit wann sah Michaela denn Kinderkanal? Und noch dazu so einen Schwachsinn. Er drückte die Zwei.
***
Sie musste es ihm vorsichtig beibringen. Rico hatte sich natürlich versteckt, als Atze gekommen war.
Klar, er kannte ihn ja nicht wirklich.
Noch einmal holte Michaela die Butter aus dem Kühlschrank, schnitt ein paar Scheiben Salami ab und belegte schnell die Brote für Atze.
Sie war aufgeregt. Wie sollte sie es am besten anstellen?
Die Muschel fiel ihr ein. Natürlich, sie würde Atze die Muschel zeigen, die Rico ihr mitgebracht hatte. Sie lag noch drüben auf dem Wohnzimmerschrank.
***
„Konntest du also doch nicht früher kommen?“
Michaela klang vorwurfsvoll. Das mochte Atze nicht. Es lag doch nicht an ihm. Aber er wollte auch nicht streiten.
„Dafür hab ich Montag frei. Und nächsten Freitag!“ Er rückte ein Stück näher an Michaela heran und küsste sie auf den Mund. „Danke für die Brote. Ich hab dich vermisst!“
„Ich muss dir was sagen, Atze.“
„Raus mit der Sprache!“ Atze nahm zwei kräftige Bisse und sah abwartend zu Michaela.
„Wir haben Besuch.“
Atze runzelte die Stirn.
„Rico ist gekommen.“ Michaela lächelte.
„Rico?“ Atze verstand nicht recht.
„Ja, der kleine Sohn von den Hotelbesitzern.
Und schau, was er mir mitgebracht hat.“ Michaela stand auf und lief zur Schrankwand. Sie kam mit der Muschel zurück, die sie im Urlaub gekauft hatten.
Atze wusste nicht, was er sagen sollte. Spinnt die jetzt komplett? Wie sollte der Junge denn hierher kommen?
Er setzte sich aufrecht und begann in ernstem Ton: „Michaela! Die Muschel haben wir mitgebracht!“
Michaela schaute ungläubig.
„Erinnerst du dich? Am vorletzten Tag wolltest du unbedingt noch ein Andenken kaufen!“
„Ich hab sie von Rico.“
Atze sah keinen Rico. Atze wusste, wo die Muschel herkam. „Und wo soll der sein, dein Rico?“, fragte er zynisch.
„Du hast ihn verschreckt.
Wenn du auch immer so böse reagierst!“
„Ich reagiere böse? Michaela! Hier ist kein kleiner Junge! Wie auch?
Waren seine Eltern vielleicht auch dabei, ja?“
Atze stützte sich auf seinen Oberschenkeln auf und ging zum Fenster. Er drehte sich um und sah Michaela ins Gesicht. „Und die Muschel, die haben wir ganz sicher in Taganana im Souvenirladen gekauft!“
Dann nahm er seinen leeren Teller und ging in die Küche.
Was sollte dieses Hirngespinst. Wird sie denn nie Ruhe geben?
***
Michaela war froh, dass Rico gestern von allein wegblieb. Sonst hätte sie mit ihm reden müssen.
Sie konnte Atze nicht noch mehr verärgern.
Am Samstagmorgen beim Zähneputzen war der Kleine wieder da. Lehnte an der Badezimmertür und lachte.
Und Michaela freute sich. Im ersten Moment. Dann aber hockte sie sich vor ihn hin. „Weißt du, Rico, wir müssen das erst klären, bevor du hierbleiben kannst. Mit deinen Eltern.“
Michaela seufzte. „Und ich glaube, Atze wird es uns auch nicht leicht machen.
Es
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