Traumtrunken
ist besser, wenn wir ihm gar nichts von dir erzählen. Erst mal.“ Sie setzte das nach, als sie sein trauriges Gesicht sah.
Michaela spülte ihre Zahnbürste, die sie eben auf dem Beckenrand abgelegt hatte, aus und stellte sie in ihr Glas zurück. Dann setzte sie sich auf die Badewanne.
„Komm mal her!“, sagte sie zu Rico und hielt ihm die Arme entgegen.
Dann nahm sie ihn auf den Schoß und versenkte ihr Kinn in seinen dunklen Haaren.
Es tat so gut, ihn zu halten. Ihn bei sich zu haben.
Michaela weinte. Und als sie wieder klar aus ihren Augen schauen konnte, saß sie allein.
Er würde es schon machen, dachte sie. Carlos und Simona würden sich etwas einfallen lassen. Immerhin nahm sie ihnen auch eine ganze Menge Verantwortung ab, wenn Rico bei ihr blieb.
Vielleicht war auch noch nicht der richtige Zeitpunkt. Vielleicht brauchte es noch ein bisschen.
Wenn er hier in den Kindergarten gehen könnte.
Dann würde er auch besser Deutsch lernen.
Aber sie müsste seine Eltern bitten, ihn dort anzumelden.
Michaelas Gesicht wurde heiß. Sie betastete es mit ihren kalten Händen. Es war ein gutes Gefühl. Ein kribbeliges.
Jetzt würde sich endlich etwas ändern!
***
„Und heute Nachmittag feiern wir deinen Geburtstag!“ Michaela wartete, bis Rico in der blauen Tür verschwunden war. Dann ging sie um das Gebäude herum und schaute zum Fenster. Ein paar Minuten dauerte es. Rico musste erst an der Garderobe seine Hausschuhe anziehen.
Jetzt sah sie ihn winken. Michaela schickte einen Handkuss nach drinnen. Wie jeden Morgen.
Dann sah sie auf die Uhr. Sie war spät dran, aber sie wollte ihm gern vor dem Kindergarten sein Geschenk zeigen.
Sie winkte noch einmal kurz und beeilte sich dann, zur Haltestelle zu kommen.
Sie hörte den Bus schon von Weitem heranfahren und lief, um ihn zu erwischen. Als sie um die Ecke bog, wurde sie langsamer. Es mussten noch einige Leute vor ihr einsteigen. Michaela war außer Atem und holte tief Luft. Wenn der Anschluss klappte, war sie noch vor neun in der Gärtnerei.
***
„Stört es dich, wenn ich heute etwas früher gehe?“ Michaela hatte Angst, Doris zu fragen, weil mittwochs meistens so viel los war. Aber sie musste es tun. Wenigstens an seinem Geburtstag wollte sie rechtzeitig zu Hause sein.
Doris hatte sie nach dem Ärger mit Atze lieber gar nichts von Rico erzählt. Obwohl sie es eigentlich gern getan hätte.
Sie war sich sicher, dass Doris mehr Verständnis hatte. Aber sie wollte kein Risiko eingehen.
Zum Glück hatte Doris nicht nachgefragt.
„Wenn du dann nur heute das Gießen übernehmen könntest!?“, war alles, um was sie sie gebeten hatte.
Umsetzen und Gießen waren nicht gerade Michaelas Lieblingsbeschäftigungen, aber die Arbeit ging ihr leicht von der Hand, weil sie den ganzen Tag an Rico denken musste. An Rico und daran, wie es war, als sie so alt war wie er.
An ihrem fünften Geburtstag hatte Oma Elvi sie sogar zu Hause gelassen, weil sie wusste, dass Michaela nicht gern in den Kindergarten ging. Michaela war dann mit zum Einkaufen gekommen und durfte allein bezahlen.
Und nach dem Mittagessen wurde sie ins Bett geschickt, damit die Oma in Ruhe den Geburtstagskuchen backen konnte.
„Wäre ja noch schöner“, hatte sie gesagt. „Wäre ja noch schöner, wenn das Geburtstagskind den Geburtstagskuchen selbst backen muss.“
Dabei wäre Michaela viel lieber dabei gewesen. Sie konnte sowieso nicht einschlafen. Hatte im Nachtschrank von Oma Elvi alle Schubfächer durchsucht.
Hatte die Taschentücher ausgebreitet wie Kostbarkeiten. Sie glattgestrichen und die Blumen oder Bilder bewundert, die darauf gedruckt waren.
Und dann, als sie wieder ins Wohnzimmer durfte, stand er auf dem Tisch. Weiß gepudert, als hätte es im November den ersten Schnee gegeben.
Und Michaela durfte sich und der Oma ein großes Stück auf den Teller legen.
Wie knusprig. Innen noch warm. Michaela würde den Duft nie vergessen.
Genau so einen Kuchen würde sie Rico heute backen!
***
Atze war überrascht, als er am Donnerstag einen gedeckten Kaffeetisch vorfand.
„Ist von gestern.“
„Sieht trotzdem lecker aus!“ Er zog Michaela zu sich heran und küsste sie.
Schnell machte sie sich von ihm los. „Gut, dass du angerufen hast“, sagte sie leise und setzte sich.
Es war ein guter Tag, dachte er. Es würde ein gutes Wochenende werden!
Atze wollte keine kalte Milch in den Kaffee. Er nahm den Tetra Pak vom Tisch und ging hinüber in die Küche.
„Magst
Weitere Kostenlose Bücher