Traumzeit
ihre Unabhängigkeit. Aber sie konnte sich nicht über die Tatsache hinwegsetzen, daß in der Gesellschaft eine unverheiratete Frau als Versagerin galt – als eine Frau, die aus dem Rennen ausgeschieden war. Außerdem war sie einsam. Was sollte sie mit ihrem Leben anfangen?
Pauline dachte an Colin MacGregor. Jedermann wußte, daß er unter allen Umständen mehr Kinder, mehr Erben haben wollte. Der plötzliche Verlust von Christina und dem ungeborenen Kind hatte ihn überempfindlich und fanatisch gemacht, wenn es um Judd ging. Aber er sah ein, daß seine Übertriebenheit schlechte Auswirkungen auf den Jungen hatte. Außerdem quälte ihn die Angst, seinen einzigen Erben zu verlieren. Das Adelsgeschlecht der MacGregors durfte nicht aussterben, und deshalb mußte er wieder heiraten.
Colin war bei den heiratsfähigen Frauen ein begehrter Mann. Und obwohl Colin sie offensichtlich nicht zu den Kandidatinnen zählte, so machte Pauline doch ihre Pläne. Diesmal wollte sie das Ziel nicht verfehlen. Teil ihres Plans war das zweite Geheimnis, das außer ihr niemand kannte.
Der Gedanke an Colin versetzte sie in Erregung. Colin war ein Mann, der Macht besaß, und er wußte sie zu gebrauchen. Und wenn die Leute sagten, er sei in letzter Zeit völlig unberechenbar und kaufe rücksichtslos und ohne Skrupel Land auf, dann kam Pauline zu dem Schluß, das sei vermutlich der Stil der Zukunft. Nur starke Männer würden siegen. Männer mit einem schwachen Willen und einem zaghaften Herzen wurden nicht reich. Sie errichteten keine Imperien. Colins Kraft und Macht entflammten ihre Leidenschaft. Pauline versuchte bereits, sich vorzustellen, wie es wohl sein werde, in Colin MacGregors Armen zu liegen. Wie würde es sein, mit ihm im Bett zu liegen, wenn er die Arme um sie schlang und sie seinen Körper auf sich spürte? Sie wollte mit ihm schlafen, er sollte sie leidenschaftlich in seine Arme nehmen. Sie wollte seinen harten Körper spüren.
Pauline richtete sich plötzlich auf und stellte entschlossen die Limonade auf den Tisch. Sie wußte, der Zeitpunkt war gekommen, um ihre Karte auszuspielen. »Du entschuldigst, Louisa, aber ich muß sofort los.«
»Oh?« Louisa sah Pauline erstaunt an. »Kann ich dich in meinem Wagen mitnehmen?«
»Ich glaube, wir wollen in verschiedene Richtungen, liebe Louisa. Aber bitte bleib und trinke in Ruhe deine Limonade. Ich weiß, wie sehr dir das heiße Wetter zu schaffen macht.«
Wenige Minuten später saß Pauline auf einem Apfelschimmel. Der feurige Hengst hieß Samson. Sie gab dem Pferd die Sporen und galoppierte über das grasbedeckte Land. Samson sprang über Weißdornhecken und Holzzäune. Seine Hufe donnerten durch den weinroten Klee, vorbei an Schwarzholzwäldchen und Känguruhbäumen. Schwärme von Kakadus flatterten von Eukalyptusbäumen auf und flogen aufgeschreckt in die Luft. Ihre zahllosen korallenrosa Körper hoben sich klar vom blauen Himmel ab. Pauline dachte auf diesem Ritt an Colin MacGregor und überließ sich dem sinnlichen Genuß, die Bewegungen des starken Pferdeleibs zwischen den Schenkeln zu spüren. Sie hielt die Zügel fest in der Hand und zwang dem Hengst ihren Willen auf.
2
»Schieß!« rief Colin. »Schieß, habe ich gesagt!«
Judd versuchte zu zielen, aber er zitterte so heftig, daß er das Gewehr nicht ruhig halten konnte.
»Verdammt, Judd! Schieß endlich!«
Judd drückte ab, und der Schuß ging mit einem ohrenbetäubenden Knall los. Die Kugel prallte gegen einen Felsen, und das große Känguruh sprang schnell davon.
Colin fluchte leise. Wieder einmal war ihnen das Tier entkommen.
»Ich weiß nicht, was mit dir los ist, Judd«, sagte er und schüttelte den Kopf. Dann stapfte er durch das dürre, hohe Gras zu seinem Sohn. »Wir sind seit Wochen hinter diesem Weibchen her. Du hättest dir keinen besseren Schuß wünschen können. Und was machst du? Du läßt es entkommen!«
Judd schwieg. Er hielt das Gewehr in beiden Händen und blickte auf die Stelle, wo das Känguruh gewesen war. Jetzt sah er nur Gras, Gestrüpp und Wildblumen.
»Na ja, wenigstens haben wir die da. Das ist kein schlechtes Ergebnis für einen Vormittag.« Colin wies auf die vielen toten Känguruhs, die unter einem Eukalyptusbaum lagen. Judd blickte verzagt zu dem Leichenhaufen. Es waren Känguruhs in allen Größen und in den unterschiedlichsten Farben, aber vorwiegend waren es junge Tiere mit weichem grauen Fell und großen rehähnlichen Augen. Deshalb verabscheute er die Jagd auf
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