Traumzeit
bringen konnte. Das Gesicht dieses Mannes verriet, daß er Macht und völlige Kontrolle über alles besaß. Colins Vater besaß diese Macht auf seiner Burg auf der Insel Skye. Aber Colin wußte, sein eigener Blick war nur eine Maske, seine Macht ein Schein. Sie war abhängig von Regen und Dürre, von Schafen und Gras. Sein Reich von über dreißigtausend Morgen Land gründete sich nicht auf Tradition und Adelsrechten wie das seines Vaters. Er war den Schwankungen von Wetter und Wirtschaftsentwicklungen ausgeliefert. Er konnte alles verlieren, wenn er nicht ständig auf der Hut war.
Colin dachte an Hugh Westbrook. Trotz Merindas Einbußen durch die Trockenheit konnte sich Westbrook über den Erfolg seiner neuen Schafrasse freuen.
Als Hugh vor sieben Jahren den Rambouillet-Widder als Zuchttier für seine Herde kaufte, hatte Colin sich als erster abfällig geäußert. »Das schafft er nie!« hatte er zu John Reed und Angus Hamilton gesagt. »Jeder Dummkopf weiß, daß man westlich von Darling Downs keine Schafe halten kann.« Aber die neuen Merinda-Schafe sahen vielversprechend aus. Mehrere Farmer hatten Hughs neue Widder gekauft und sie zur Zucht eingesetzt. Sie kreuzten sie mit ihren besten Schafen, trafen sorgfältig ihre Auswahl, und die neue Rasse erwies sich mittlerweile als sehr widerstandsfähig. Bereits die dritte Generation weidete auf Land, auf dem man nie zuvor Schafe halten konnte, und man sprach von Coleraine bis zum Barcoo nur noch von den Merinda-Schafen.
Deshalb haßte Colin seinen Widersacher – und noch wegen anderer Dinge.
Als die nutzlosen fünftausend Morgen Land am Fuß der Berge in Colins Besitz übergegangen waren, hatte er den Zaun entlang der Grenze zu Merinda umlegen lassen. Das Glück schien auf seiner Seite zu sein, denn der größte Teil von Westbrooks Herde war daraufhin bei dem Unwetter im Fluß ertrunken. Aber danach begann man im Distrikt, Colin schief anzusehen. Er mußte seinen Durst nach Macht und Rache zügeln. Aber er würde nicht vergessen, wie Hugh verhindert hatte, daß Joanna Drury seiner sterbenden Frau zu Hilfe kam. Er wartete ab. Der richtige Augenblick, um es ihm heimzuzahlen, würde kommen, und Colin war bereit. Er wird so leiden müssen, wie ich gelitten habe, dachte er grimmig. Und sein Verlust wird ebenso groß sein wie mein Verlust.
Es klopfte an der Tür. Es war Locky McBean, sein ehemaliger Aufseher. Er betrat das Arbeitszimmer mit der Mütze in der Hand. »Guten Abend, Mr. MacGregor. Ich bin gerade zurückgekommen.«
»Das sehe ich. Was haben Sie für mich?«
Locky war vor ein paar Jahren mit der sehr viel besseren Aufgabe betraut worden, die Pacht für Colins Grundbesitz im Distrikt einzutreiben. Einige Familien, die Land gepachtet hatten, lieferten die Gewinne ab, die sie erwirtschafteten und behielten nur einen kleinen Prozentsatz für sich. Andere hatten kleine Farmen oder Zuchtbetriebe von ihm gekauft. Sie bezahlten regelmäßig die Raten ihrer Hypotheken zuzüglich eines vereinbarten Prozentsatzes der Gewinne, die sie durch den Verkauf von Getreide oder Wolle erzielten. Locky hatte die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß alle rechtzeitig zahlten und daß es zu keinem Betrug kam. In schweren Zeiten, wie die kleineren Farmer sie gerade erlebten, kümmerte sich Locky darum, daß sie trotzdem zahlten, ob sie es sich nun leisten konnten oder nicht.
McBean zog ein abgegriffenes Rechnungsbuch hervor und legte es auf den Schreibtisch. Er schlug es auf und deutete mit einem schmutzigen Fingernagel auf eine Stelle: »Sie müssen die Zinsen für Drummonds Hypothek erhöhen, Mr. MacGregor.«
»Warum? Wo liegt das Problem?«
»Wegen der Trockenheit ist seine Wolle schlecht. Nach dem Scheren werden Sie Einbußen haben.«
Einige Großgrundbesitzer im Distrikt hatten es sich zur Regel gemacht, die Zinsen der Hypotheken zu erhöhen, wenn der Pächter mit dem jährlichen Wollertrag nicht den üblichen Gewinn erwirtschaften konnte. Das Problem bestand nun darin, daß Pächter wie Drummond, die höhere Zinsen für ihre Hypothek bezahlen sollten, auf anderen Gebieten sparen mußten – meist entließen sie ihre Hilfskräfte und vergrößerten damit die Zahl der Arbeitslosen auf dem Land.
»Geben Sie ihm noch einen Monat«, sagte Colin, »wenn er dann nicht zahlt, werfen Sie ihn raus.«
»Drummond hat acht Kinder.«
»Ich bin nicht für sie verantwortlich. Was gibt es sonst noch?«
Sie besprachen die Abrechnungen, und Locky schlug in mehreren Fällen vor, den
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