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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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überwältigenden Stadt keine Menschenseele. Ich komme mir inzwischen ziemlich einsam und verlassen vor. Wenn ich noch eine Mahlzeit nur in der Gesellschaft von John Prior verzehren muß, dann werde ich verrückt.«
    »Sind Sie so langweilig?« fragte sie und konnte dem Flirt nicht widerstehen.
    »Ich glaube schon – wenn ich allein mit mir bin. Aber mit einer so charmanten Frau wie Ihnen, Mrs. MacGregor, könnte ich bestimmt sehr geistreich sein.«
    Pauline wollte seine Einladung nicht annehmen, aber sie tat es trotzdem. Außerdem mußte sie sich eingestehen, daß sie die Vorstellung, mit Mr. Prior Tee zu trinken, richtig aufregend fand.
    Sie willigte also ein, ihn zwei Stunden später vor dem Kaufhaus zu treffen. Bis dahin war Pauline von ihrem unerklärlichen Verhalten so schockiert und so aufgeregt über die gewagte Unschicklichkeit, daß sie sich nicht mehr auf ihren Einkauf konzentrieren konnte.
    Mr. Priors Haare hatten eine andere Farbe als Hughs. Er hatte auch nicht die sonnengebräunte Haut eines Farmers, aber es bestand eine erstaunliche Ähnlichkeit, die sie noch immer beschäftigte. Als sie zur verabredeten Zeit das Warenhaus verließ und Mr. Prior in einem eleganten Zweispänner, einem Brougham, vorfuhr, reichte sie ihm die Hand.
    Sie verbrachten den Nachmittag in einer Teestube, tranken Darjeeling, aßen Gurkensandwiches und sprachen über die erstaunlichen Dinge, die es auf der Weltausstellung zu sehen gab. Und während eine Stunde um die andere verging, die Gaslampen angezündet wurden und sich eine gewisse Vertraulichkeit einstellte, erlag Pauline immer mehr dem Charme dieses Fremden. Sie kannte nur die Kälte ihres Mannes und hatte vergessen, wie es war, sich in Gesellschaft eines liebenswerten Mannes zu befinden. Und John Prior war liebenswert. Er beugte sich über den Tisch und sah Pauline an, als sei sie die einzige Frau auf Erden, als kreisten seine Gedanken nur um sie. Er verzauberte sie mit seiner Aufmerksamkeit. Er schmeichelte ihr, und er bewunderte sie. Er hörte ihr zu und schien ihre Worte wichtig zu finden. Er lachte, wenn sie etwas Lustiges sagte. Er erklärte, er habe das Gefühl, sie schon ewig zu kennen. Und Pauline stellte fest, daß dieser Mann, der all das verkörperte, was Colin nicht war, sie, ohne es eigentlich zu wollen, fesselte.
    Als sie schließlich aufbrachen und John Prior sagte: »Darf ich Sie heute abend ins Theater einladen und anschließend zum Essen«, wußte Pauline, sie hätte ablehnen und dem ein Ende setzen sollen, was da begann. Aber sie konnte sich seinem Zauber nicht mehr entziehen und antwortete: »Ja.«
    Einen Abend lang war Pauline wieder jung. Sie war begehrenswert wie früher. Sie lachte mehr, als sie in Jahren gelacht hatte. Sie fühlte, wie die Düsterkeit und Kälte von Kilmarnock wichen. Und sie überließ sich Gefühlen, die sie seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt hatte: die Freude am Flirt, das elektrisierende Prickeln bei der Berührung eines Mannes, das leichte Schwindelgefühl, das sich mit dem sexuellen Verlangen einstellte. John Prior verhielt sich die ganze Zeit sehr anständig. Er berührte Pauline nur, um ihr den Mantel abzunehmen, ihr beim Verlassen des Wagens zu helfen oder ein Blumensträußchen an ihr Kleid zu heften. Aber sie spürte hinter jeder Geste und jedem Gesichtsausdruck eine Bedeutung. Was sie beide ängstigte und erregte, blieb unausgesprochen und war tabu, aber Pauline wußte, sie empfanden es beide.
    Als sie sich mit einem langen Händedruck und dem Austausch von Visitenkarten verabschiedeten, gelobte Pauline, sie werde ihn nie wiedersehen.
    Doch sie konnte ihn nicht vergessen.
    Persephone, Louisa Hamiltons jüngste Tochter, riß sie aus ihren Gedanken, als sie zu ihrer Mutter sagte: »Mami, darf ich bitte Zuckerwatte haben?«
    »Aber Persephone, mein Schatz«, erwiderte Louisa und fächelte sich Luft zu, »der Stand mit Zuckerwatte ist auf der anderen Seite des Jahrmarkts. Es ist viel zu heiß, um so weit zu gehen.«
    »Ich gehe mit ihr«, sagte Pauline schnell, denn sie wollte hier weg, »wir holen auch Limonade. Möchtest du Limonade, Persephone?«
    Sie liefen durch die Buden und Stände und betrachteten die vielen Dinge, die zum Verkauf angeboten wurden. Sie sahen ein Spiel, bei denen man Ringe auf Rundhölzer werfen mußte, und blieben vor einem roten Plakat stehen, auf dem stand: ›Kommen Sie! Das müssen Sie sehen! Der Große Carmine schießt sich eine Kugel in den Hals!‹ Aber das beste Plakat war so groß wie

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