Traumzeit
angekommen.«
»Ja.« Frank blickte nachdenklich ins Glas. Der Junge war ihm etwas merkwürdig vorgekommen, und seine Augen hatten gequält gewirkt. »Da ist noch etwas.«
Sie sah ihn an. »Das wäre?«
»Auf dem Wagen sitzt auch eine Frau.«
»Eine Frau?«
»Ja. Hugh hat so eine Art Kindermädchen von einem der Einwandererschiffe eingestellt. Sie soll sich um den Jungen kümmern.«
Pauline starrte ihren Bruder an. Hugh hatte unter anderem deshalb auf der langen Verlobungszeit bestanden, weil Merinda im gegenwärtigen Zustand für eine Frau unzumutbar sei. Er hatte erklärt, er brauche Zeit, um für Pauline ein anständiges Haus zu bauen. Und jetzt nahm er eine andere Frau mit dorthin!
Einen Augenblick lang verspürte sie Eifersucht, doch dann erinnerte sich Pauline an die einwandernden Frauen, die sie gesehen hatte. Viele waren schon dankbar für ein Dach über dem Kopf und stellten keinerlei Ansprüche.
»Ich weiß, was du denkst, liebe Schwester«, sagte Frank, »aber du mußt dir allein die Schuld geben. Wenn du angeboten hättest, dich um das Kind zu kümmern, wäre Westbrook nicht gezwungen gewesen, ein Kindermädchen einzustellen.«
»Da hast du natürlich recht. Außerdem ist es so vielleicht das Beste. Dann haben wir jemanden, der sich während der Flitterwochen um den Jungen kümmert. Übrigens, wie heißt er denn?«
»Adam«, sagte Frank und füllte sein Glas.
Pauline beobachtete ihren Bruder und stellte fest, daß er sich übertrieben hingebungsvoll mit seinem Whisky beschäftigte. Er vermied es, sie anzusehen.
»Frank«, sagte sie, »was ist los?«
»Was soll los sein?«
»Frank, ich kann in dir lesen wie in deiner Zeitung. Da ist noch etwas. Was ist es?«
»Nun ja«, sagte er langsam, drehte sich um und sah sie an, »du wirst es früher oder später ohnehin hören. Also ist es wohl besser, du hörst es von mir. Das Kindermädchen … ist jung.«
»Jung? Wie jung?«
»Ach, du weißt doch, ich kann das Alter einer Frau schlecht schätzen.«
»Wie jung, Frank?«
Er hob die Schulter. »Noch nicht zwanzig, würde ich sagen.«
»Es ist also ein junges Mädchen?«
»Nein, kein Mädchen, Pauline. Sie ist eine junge Frau.«
»Aha.« Pauline legte langsam die Haarbürste auf den Frisiertisch. »Wie sieht sie aus?«
»Nun ja, hm, also, sie ist nicht gerade das, was man erwarten würde. Ich meine, sie sieht nicht wie eine dieser Einwandererfrauen aus. Sie ist zum Beispiel sehr gut gekleidet.«
»Weiter.«
Frank trank einen Schluck. »Und einige Leute finden sie möglicherweise hübsch.«
Schweigen senkte sich über Kleider, Spitzen und Stoffe. »Einige Leute«, sagte Pauline. »Und was sagst du? Findest du sie hübsch?«
»Hm, ja«, sagte Frank, »ich denke schon.«
»Würdest du sie sogar als schön bezeichnen?«
Als er keine Antwort gab, sagte Pauline: »Ich verstehe. Wie heißt sie?«
»Joanna Drury.«
Joanna Drury, dachte Pauline. Die junge und schöne Joanna Drury. Und sie ist ganz allein mit Hugh auf dem Weg von Melbourne hierher – vier Tage sind sie zusammen auf seinem Wagen.
Pauline fühlte, wie ihr ein kalter Schauer durch den Körper ging.
»Also gut!« sagte Frank und stellte sein Glas ab. »Ich brauche jetzt ein Bad und muß mich umziehen. Ich hoffe, du verzeihst mir, liebe Schwester, aber ich fühle mich nicht in der Lage, heute die MacGregors beim Essen zu ertragen. Colin ist ein Langweiler und redet immer nur von seiner adligen Herkunft, und der armen Christina fällt nichts ein, als zu seufzen. Verzeihst du mir noch einmal?«
Aber seine Schwester hörte ihm nicht zu.
»Außerdem«, sagte Frank und ging zur Tür, »gehe ich heute abend aus. Ich habe John Reed versprochen, mich mit ihm in Finnegans Pub zu treffen …«
Pauline hörte nicht einmal, wie die Tür ins Schloß fiel. Sie betrachtete sich im Spiegel und dachte: Frank hat recht. Es ist meine Schuld. Ich bin dafür verantwortlich, daß Hugh ein Kindermädchen eingestellt hat. Ich kann aber auch dafür verantwortlich sein, daß sie geht. Ich werde Hugh sagen, ich möchte den Jungen bis zur Hochzeit hier bei mir haben. Dann wird er wohl einsehen, daß er kein Kindermädchen braucht.
Kapitel Drei
1
»Dort vorne ist ein geeigneter Platz zum Übernachten«, sagte Hugh. Der Wagen rollte langsam auf einer Straße entlang, die von hohen Eukalyptusbäumen beschattet wurde. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß wir im Freien übernachten. An dieser Straße gibt es nicht viele Gasthäuser, und deshalb
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