Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
Hauptstraße in die Landstraße mündete, die man den Cameron Highway nannte. Als Frank an diesem späten Nachmittag zum Pub gekommen war, hatte er zu seiner Überraschung im Hof viele Pferde und Einspänner gesehen. In Finnegans Pub war nie viel los, denn die Preise waren höher als die der Konkurrenz, und die Gäste kamen aus den oberen Schichten. Die reichen Schaf- und Rinderzüchter trafen sich bei Finnegans, um in Ruhe ihr Bier zu trinken. Bei Faceys, dem Arbeiterpub gegenüber, verkehrten die Erntehelfer und Schafscherer. Im Hof von Finnegans Pub standen nur selten viele Pferde, aber an diesem späten Oktobernachmittag war er voll. Und beim Eintreten stellte Frank zu seinem noch größeren Staunen fest, daß im Pub nicht ein freier Platz zu finden war.
    »Der Grund dafür ist sie«, sagte Reed mit einer Kopfbewegung in Richtung der neuen Bedienung, die gerade am anderen Ende der Bar ein Glas mit Whisky füllte. »Sie hat vor sechs Wochen hier angefangen. Der alte Joe Finnegan macht seitdem gute Geschäfte.«
    Frank betrachtete die Frau aufmerksam. Sie war nicht übermäßig attraktiv, nicht gerade schlank und vermutlich Ende dreißig. Mit ihrem eher schlichten Kleid beabsichtigte sie eindeutig nicht, die Phantasie der Männer anzuregen. Während sie jetzt den Whisky über die Bar reichte und von dem Gast das Geld entgegennahm, bemerkte Frank nichts von der üblichen Koketterie einer Bardame. Ihr Aussehen fand Frank nicht besonders aufregend oder ungewöhnlich.
    »Sie ist der Grund für die vielen Gäste?« fragte er ungläubig.
    »Sie heißt Ivy Dearborn«, sagte Reed. »Sie zeichnet die Leute.«
    »Wie bitte?«
    »Wenn sie nicht bedient, macht sie Porträts. Siehst du den Block und den Bleistift neben der Kasse? Paß auf. Bald wird sie den Block nehmen und einen der Gäste zeichnen.«
    »Und bezahlen die Leute dafür?«
    »O nein. Sie macht es nicht für Geld, und du kannst kein Bild von dir bestellen. Die Entscheidung liegt bei ihr. Und man weiß nie, was sie zeichnen wird, oder wie das Bild aussieht. Sie macht Karikaturen, die manchmal wenig schmeichelhaft sind. Sie sagt, sie zeichnet jemanden so, wie sie ihn sieht. Du solltest einmal sehen, wie sie mich gezeichnet hat! Ich bin für sie ein dicker, fauler Koala-Bär!«
    Frank lachte. »Sie zeichnet also die Wahrheit, John, wie?«
    »Vorsicht, mein Freund. Dich hat sie auch schon gezeichnet.«
    »Mich?«
    »Mir ist aufgefallen, daß sie dich nicht aus den Augen läßt, seit du hier bist.«
    Frank hatte außer dem Whisky vor ihm auf der Theke wenig um sich herum wahrgenommen. Ihn beschäftigte die Expedition, das mögliche Schicksal seiner Leute und dann die Nachrichten, die er Pauline überbringen mußte. Außerdem ging ihm Hugh Westbrook nicht aus dem Kopf. Er war ihm zufällig in Melbourne mit dieser fremden jungen Frau begegnet. Hugh hatte erklärt, sie werde sich um den Jungen kümmern. Die junge Frau hatte mit Frank über eine Grundbesitzurkunde gesprochen, denn wie sie glaubte, hatten ihre Großeltern vor siebenunddreißig Jahren Land in Australien gekauft. Frank konnte ihr zwar keine Auskunft darüber geben, ob der Kauf noch rechtsgültig war, aber die Frau hatte sein Interesse geweckt. Frank suchte ständig gute Geschichten für seine Zeitung. Jetzt dachte er darüber nach, ob sich aus dieser Frau und ihrem alten Dokument etwas für die
Times
machen ließ.
    »Na los«, sagte Reed, »bitte Ivy, dir dein Bild zu zeigen. Bist du denn nicht neugierig, wie sie dich sieht?«
    Frank konnte sich bereits vorstellen, wie sie ihn gezeichnet hatte. Er machte sich über seine Erscheinung keine Illusionen. Er wußte, wie er aussah: klein, mit zurückweichendem Haaransatz und einem Gesicht, das selten eine Frau dazu bewegte, ihn zweimal anzusehen. Als er noch jünger war, hatte er an Fasching einmal eine Karikatur von sich machen lassen. Der Künstler hatte ihn als einen aufgeplusterten Hahn mit einer Zigarre im Schnabel dargestellt.
    Reed redete ununterbrochen weiter: »Sie ist alleinstehend. Sie hat ein Zimmer in Mary Smiths Pension. Jeder Mann am Ort hat sie schon einmal eingeladen, aber sie lehnt immer ab. Ich habe Finnegan gefragt, ob er in aller Stille etwas mit ihr habe, aber er schwört, das sei nicht der Fall. Ihre Beziehung sei rein geschäftlicher Natur, beteuert er. Ich kann mir nicht vorstellen, auf welchen Prinzen sie wartet!«
    Frank beobachtete die Frau, die mit fliegendem Bleistift ein Bild zeichnete. Sie blickte in völliger Konzentration auf den

Weitere Kostenlose Bücher