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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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sie. »Ich meine den alten Mann und seine Familie.«
    Hugh seufzte. »Es ist wirklich traurig. Sie wandern nur aus einem Instinkt heraus. Da die weißen Siedler sich mittlerweile ihr Land angeeignet haben, wissen die Schwarzen nicht mehr, wohin sie ziehen sollen. Wie man mir erzählt hat, war diese Straße zum Beispiel einst das, was sie einen Traumpfad nennen. Vielleicht sind wir ihnen deshalb heute begegnet.«
    »Ein Traumpfad?«
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das richtig erklären kann«, sagte er. »Diese Wege gehören zum heiligen Wissen der Ureinwohner. Sie sind Teil ihres Glaubens. Es ist ihnen verboten, über heilige Dinge zu sprechen, besonders mit Weißen. Deshalb wissen wir so wenig über sie. Soweit ich es verstehe, kann man sich Traumpfade wie unsichtbare Wege vorstellen. Auf ihnen sind die Vorfahren der Ureinwohner gezogen – vor vielen tausend Jahren und noch bis vor kurzem, also bis vor etwa fünfunddreißig Jahren, in manchen Gegenden sogar noch danach. Die Traumpfade sind wie unsichtbare Straßen, die den Kontinent kreuz und quer durchziehen. Ihre Vorfahren sind früher offenbar durch ganz Australien gewandert, und beim Wandern sangen und träumten sie die Namen aller Dinge, denen sie begegneten. Sie glaubten, durch ihr Singen und Träumen die Welt zu erschaffen. Die Aborigines glauben, daß Gesang und Traum Wirklichkeit ist, oder anders ausgedrückt: Singen und Träumen ist Leben. Und aus diesem Grund ist den Ureinwohnern auch alles in der Natur heilig – die Felsen, die Bäume, die Wasserstellen. Sogar«, sagte er und beugte sich zu Adam, »
sogar
kleine Jungen, die nicht sprechen!«
    Adam sah Hugh mißtrauisch an, aber dann lächelte er schüchtern.
    Joanna beobachtete, wie die Landschaft langsam in der Dunkelheit versank, und mit der Nacht stellte sich eine merkwürdige Stille ein. Die Welt kam zur Ruhe. Wie war wohl das Australien von früher gewesen, überlegte sie. Lebte etwas aus dieser Zeit in ihr selbst? Wirkte in ihr, in ihrer Familie ein alter Fluch, wie ihre Mutter geglaubt hatte?
    Joannas Großeltern waren vor vierzig Jahren nach Australien gekommen, also etwa um die Zeit, in der, wie Hugh sagte, die Ureinwohner ihr Land an die Weißen verloren hatten. Verfluchte damals einer der Alten, ein Mann wie der, dem sie heute begegnet war, John und Naomi Makepeace und ihr dreieinhalb Jahre altes Kind Emily?
    Joanna versuchte sich vorzustellen, auf welchen unsichtbaren Wegen die Vorfahren der Ureinwohner gezogen waren und welche Art Lieder sie gesungen hatten. Sie dachte daran, daß ihre Mutter hier zur Welt gekommen war und als Kind hier gelebt hatte. Dann mußte sie wieder an die Begegnung mit den Ureinwohnern denken. Vielleicht hatte eine Frau, die aussah wie diese Frauen, vor achtunddreißig Jahren die kleine Emily den Behörden übergeben, die sie auf einem Schiff nach England schickten. War es diese Frau gewesen, die Lady Emily immer wieder im Traum erschien? Diese Ureinwohner mußten damals, in der Kindheit ihrer Mutter, noch Würde besessen haben.
    Die Ureinwohner, die Joanna an diesem Tag gesehen hatte, wirkten verwahrlost und wie Vertriebene, die von ihrem Instinkt getrieben, langsam und ziellos durch das Land wanderten und nirgendwo hingehörten. Ein unbestimmter Traum ließ sie weiterziehen. Es ist ein ererbter Zwang, dachte Joanna, ein Zwang, vielleicht dem nicht unähnlich, der mich hierher geführt hat. Auch meine Mutter wurde von dieser Zwangsvorstellung getrieben, sie müsse zurück nach Australien und zurück an den Ort ihrer Geburt, denn sie hoffte, die verschlungenen Bahnen ihres Lebens zurückverfolgen zu können – den tragischen Weg ihrer Familie. Sie lächelte und dachte: Gewissermaßen sind das die Traumpfade unserer Familie …
    Joanna blickte angestrengt in die Dunkelheit, in der sich das schmale Band der Straße verlor. Sie stellte sich vor, daß diese Straße vielleicht ihr Pfad werden würde, und sie fragte sich: Wenn ich ihm weit genug folge, komme ich dann an das Ende – und an den Anfang?
    2
    Sie schlugen das Lager an einer Stelle auf, die man Emu Creek nannte. Dort hatten auch andere Zelte errichtet und Lagerfeuer entzündet. Über dem Platz hingen Rauchschwaden. Kinder rannten lachend herum, und überall roch es nach Kaffee und gebratenem Schinken.
    »Was sind das für Leute?« fragte Joanna, während sie vor ihrem Feuer saßen und darauf warteten, daß das Teewasser kochte.
    »Die meisten sind Scherer«, erwiderte Hugh und rührte den Tee in dem

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