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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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ihre Mutter nicht fand? War das die Strafe dafür, daß sie nicht die Geduld oder den Mut gehabt hatte, am Eingang der Höhle zu warten …
    Ihre Hände tasteten über die feuchte Felswand. Immer wieder rutschte sie auf dem glitschigen Boden aus und konnte sich nur mühsam auf den Beinen halten. Sie kämpfte gegen die Tränen und versprach Gott, wenn er ihr das Leben schenken würde, werde sie nie wieder ungehorsam sein.
    Und plötzlich, wie als Antwort auf ihre Verzweiflung, sah sie vor sich Licht. Es war kein richtiges Licht, denn der lange schmale Gang endete schlagartig, und sie stand in einer riesigen domartigen Höhle mit einem schwarzen See. Die Höhle wurde von einem seltsamen grünen Licht erhellt. Wie gebannt blickte Lisa sich um und vergaß für einen Augenblick ihre Angst.
    Sie sah einen schmalen flachen Felsvorsprung, der sich um das Wasser zog, und auf der anderen Seite des Sees eine andere Öffnung im Gestein. Offensichtlich ging der Weg dort weiter.
    Lisa faßte wieder Hoffnung, denn endlich konnte sie wieder etwas sehen. Sehr wahrscheinlich war ihre Mutter vor ihr hier gewesen. Vielleicht war sie sogar ganz in der Nähe. Mit größerer Zuversicht ging Lisa um den geheimnisvollen schwarzen See herum.
    *
    Joanna überkam im ersten Augenblick Angst, als sie die Schlange sah. Aber als sie mit großen Augen auf den gewaltigen regenbogenfarbigen Körper blickte, als sie die märchenhaften Einzelheiten sah, aus denen sie bestand, die geheimnisvollen Symbole und Bilder um sie herum, als sie die Brüste der Schlange betrachtete und erkannte, daß sie als ein weibliches Wesen dargestellt war, erfaßte sie große Ehrfurcht und eine wunderbare inner Ruhe.
    Joanna ahnte, daß diese Schlange vor vielen, vielen Jahren, vielleicht Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden an die Felswand gezeichnet worden war. Wie viele Hände hatten dieses einzigartige Kunstwerk erschaffen? Während sie sich langsam der Schlange näherte, die viele Meter groß und so lang war, daß Joanna ihr Ende nicht sah, staunte sie über die künstlerische Vollkommenheit dieser Felszeichnung – jede einzelne Schuppe auf dem Schlangenleib war mit großer Sorgfalt gezeichnet und koloriert. Die Schlange wand sich bunt schimmernd in Ehrfurcht gebietender Entfaltung ihrer ganzen Kraft von einem Ende der Höhle zum anderen. Zahllose Generationen mußten an diesem Werk beteiligt gewesen sein.
    Während Joanna noch immer wie gebannt die riesige Regenbogenschlange betrachtete, entdeckte sie unter der Farbe bunte Gesteinsschichten im Fels. Geschwungene rote, orangene, braune und grüne Streifen zogen sich über die Wand. Je länger sie darauf blickte, desto deutlicher wurde ihr bewußt, daß die Schlange bereits im Stein vorhanden gewesen war, lange bevor die Farbe auf die Felswand aufgetragen wurde.
    Sie sah sich in der Grotte um. Die hohe gewölbte Decke, die säulenartigen Stalaktiten, die primitiven Felszeichnungen an den Kalksteinwänden und das geisterhafte grüne Schimmern schufen die Atmosphäre eines überirdischen Heiligtums.
    Ein kleiner Fluß wand sich durch die Grotte. Joanna entdeckte überall auf dem Felsboden verstreut Trinkgefäße – Kürbisflaschen, Kokosnußschalen, Becher aus Rinde und Ton, ausgehöhlte Steine. Sie alle waren mit denselben mystischen Symbolen versehen, die die Regenbogenschlange umgaben – Symbole für Leben und Sterben, dachte Joanna, Symbole der Weiblichkeit. Hier hatten jahrtausendelang die geheimen Rituale der Frauen stattgefunden. Denn hier kam das Wasser aus dem Bauch der Erde, hier begann das Leben.
    Joanna griff nach einem Tonbecher und tauchte ihn in das kristallklare Wasser. Sie hob den Becher an die Lippen und trank.
    *
    Plötzlich glaubte Lisa unheimliche Gestalten im grünen Licht des Gangs zu sehen. Sie erschrak, aber dann erkannte sie, daß ihre Augen sie getäuscht hatten. Die gespenstischen Wesen waren Bilder an den Felswänden. Sie hätte schwören können, daß sie sich bewegten. Beklommen ging sie schneller. Sie wagte nicht mehr, um sich zu blicken, denn sie fürchtete, beim Anblick der tanzenden Wesen, die von allen Seiten auf sie einstürmten, ohnmächtig zu werden.
    Als sie das Ende des Gangs sah, der in eine grüne Grotte mündete, begann sie zu rennen. Atemlos erreichte sie den Eingang und blieb wie gebannt stehen. Überirdisches grünes Licht traf ihre Augen. Die Luft um sie herum schien zu knistern, als befinde sie sich im Zentrum eines Gewitters. Ihre Sinne nahmen plötzlich alles

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