Traumzeit
nur zu sehen, wenn er abends im Haus erschien, sich erkundigte, wie es Adam ging, und sich vergewisserte, daß sie und das Kind wohlauf waren.
Joanna stand auf der Veranda und betrachtete die Federn, die sie vor der Tür gefunden hatte. Es waren hübsche zartrosa Kakadufedern mit gelblichen Spitzen. Jemand hatte sie sorgfältig mit dünnen Rindenfasern zusammengebunden. Es waren drei Federn, so wie es drei Steine und drei Blumen gewesen waren. Jemand mußte sich die Mühe gemacht haben, sie zu suchen und hierher zu bringen. Aber warum? Und wer mochte so etwas tun?
Während Joanna darüber nachdachte, beobachtete sie Adam, der den Hühnern nachlief. Die Wunde an der Stirn war verheilt, und es hatte keine hysterischen Ausbrüche mehr gegeben. Auf einen Fremden mochte er wie ein ganz normaler, gesunder Junge wirken. Aber ein Fremder sah nicht den gequälten Blick in Adams Augen, wenn er sich darum bemühte, etwas zu sagen. Ein Fremder erlebte nicht, wie der Junge plötzlich verstummte und vor sich hinstarrte; ein Fremder erwachte nicht nachts, wenn Adam im Schlaf vor Angst schrie.
Joanna sah zu, wie er die Hühner scheuchte und dachte an die Spielsachen, die unbeachtet im Haus lagen. Joanna hatte sie bei Mr. Shapiro gekauft. Der alte Trödler machte regelmäßig seine Runde im Distrikt. Er kam mit einem bunt bemalten Wagen, den ein uraltes Pferd namens Pinky zog, und verkaufte alles, angefangen von Kattun bis zu ›echt orientalischem Parfüm‹. Joanna hatte hauptsächlich Dinge für das Haus gekauft – einen Häkelteppich, eine Teekanne aus Ton, Vorhänge für die Fenster – aber auch einen Drachen und einen Ball. Zu ihrer Überraschung reagierte Adam auf die Geschenke kaum. Dann begriff sie, daß er Spielzeug nicht kannte und vermutlich niemals Spielsachen gehabt hatte. Er spielte lieber mit der Natur. Er paddelte im Wasser am See und verbrachte Stunden damit, die Schnabeltiere zu beobachten, die im Wasser nach Nahrung suchten. Er trug Rupert, die alte Fellpuppe mit den Knopfaugen, mit sich herum, die vor vielen, vielen Jahren ihrer Mutter gehört hatte. Aber mit dem Ball und dem Drachen spielte er nicht.
Joanna versuchte auf unterschiedlichste Weise, Adams Vertrauen zu gewinnen, um den Schlüssel zu seiner inneren Qual zu finden. Aber bislang hatte sie keinen Erfolg gehabt. Als sie ihm die Bibel seiner Mutter und den Ehering gezeigt hatte, war er in Tränen ausgebrochen.
Joanna wartete nun gespannt auf eine Nachricht der Behörde in Südaustralien. Sie hoffte, dadurch etwas zu erfahren, das Aufschluß darüber gab, was ihm diese innere Wunde zugefügt hatte, denn dann würde sie ihm vielleicht helfen können. Sie dachte wieder an ihre Mutter und fragte sich, ob Lady Emily möglicherweise noch am Leben gewesen wäre, wenn ihr jemand vor langer Zeit hätte helfen können, den seelischen Schmerz zu überwinden und sich dem zu stellen, was sie verletzt hatte.
Joanna wartete auch noch auf andere Briefe.
Am Morgen nach ihrer Ankunft auf Merinda hatte sie den Regierungen der sechs Kolonien von Australien geschrieben und um Nachrichten über die Missionare namens Jones und Naomi Makepeace gebeten. Außerdem hatte sie Karten der Kolonien angefordert. Mit der Grundbesitzurkunde war sie zu Hugh Westbrooks Anwalt in Cameron Town gefahren, aber er hatte erklärt, solange man nicht wisse, in welcher Kolonie das Land lag, könne man es unmöglich ausfindig machen oder auch nur feststellen, ob die Urkunde rechtskräftig sei.
Joanna hoffte auch auf einen Brief aus Cambridge in England.
Vor acht Jahren war Joanna mit ihrer Mutter nach England gefahren. Damals hatte Lady Emily in das Tagebuch geschrieben: »Tante Millicent weigert sich zwar, über meine Eltern zu sprechen, denn sie hat ihren Kummer über den Verlust der Schwester noch immer nicht überwunden, aber ich habe ein paar Dinge von ihrer Nachbarin, Mrs. Dobson, erfahren. Sie kannte Millicent und meine Mutter schon, als sie noch Mädchen waren. Mrs. Dobson erwähnte einen gewissen Patrick Lathrop. Sie schien sich zu erinnern, daß er ein guter Schulfreund meines Vaters war. Wenn ich diesen Mr. Lathrop ausfindig machen kann, werde ich vielleicht erfahren, wo ich geboren worden bin und weshalb Vater dort war.«
Soweit Joanna wußte, war ihre Mutter dieser Sache nie nachgegangen, aber Joanna hielt diese Information für wichtig. Sie wußte, daß ihr Großvater von 1826 bis 1829 das Christ’s College in Cambridge besucht hatte. Zwei Monate vor ihrer Abreise aus
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