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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Sie reichte Pauline ein kleines, mit einem Kork verschlossenes Fläschchen.
    Pauline öffnete es und roch an der aromatischen Flüssigkeit. »Kamille?« fragte sie.
    »Und schwarzer Andorn, Mädesüß und ein wenig Gewürznelken«, erklärte Dr. Ramsey und fügte hinzu, »ein sehr wirksames Mittel gegen morgendliche Übelkeit.«
    »Wer hat es Ihnen geschickt?« fragte Pauline.
    Christina gab ihr einen Brief, der mit dem Fläschchen gekommen war.
    Paulines Augen wurden groß vor Staunen. Es handelte sich eindeutig um die Handschrift einer Dame, und unterschrieben war der Brief mit: »Joanna Drury, Merinda.«
    »Miss Drury versteht offenbar erstaunlich viel von Kräutern«, sagte Dr. Ramsey. »Ich bin ihr vor ein paar Tagen in Cameron Town in Thompsons Drogerie begegnet. Sie hat so viele Dinge gekauft und in solchen Mengen, daß ich sie fragte, was sie damit vorhabe. Miss Drury erwiderte, sie versorge sich rechtzeitig mit Vorräten, damit in einem Ernstfall alles zur Hand sei. Ihre Mutter war offenbar eine Art Heilerin. Maude Reed war ebenfalls im Laden und berichtete Winifred Cameron von Mrs. MacGregors morgendlicher Übelkeit. Miss Drury muß so auf den Gedanken gekommen sein, das Mittel herüberzuschicken.«
    »Und es geht mir viel besser«, erklärte Christina. »Ich muß mich unbedingt bei ihr bedanken.«
    »Ich werde Miss Drury mit Vergnügen eine Nachricht von Ihnen überbringen, Mrs. MacGregor«, sagte Ramsey schnell. »Ich komme morgen auf meinem Weg zu Horsham ohnehin dort vorbei.«
    »Wie Phoebe McCleod mir erzählte, hat Hugh Westbrook Miss Drury als Kindermädchen für den verwaisten Jungen eingestellt, den er aufgenommen hat«, fuhr Christina fort. »Was für eine Frau ist sie, Dr. Ramsey?«
    »Was für eine Frau sie ist?« Pauline sah, wie er rot wurde.
    Während sie zuhörte, wie David Ramsey leicht verlegen von der »reizenden und damenhaften Miss Drury« berichtete, betrachtete Pauline noch einmal den Brief. Sie las mit gerunzelter Stirn die korrekte Anrede und die Grußformel am Ende, die fehlerfreien Sätze, die richtige Zeichensetzung – und alles in flüssiger, zierlicher und geübter Handschrift.
    Der Butler erschien mit einer neuen Visitenkarte. »Miss Flora McMichaels möchte Sie besuchen, Madam«, erklärte er.
    »Das wird zuviel für dich, mein Schatz«, sagte Colin.
    Aber Christina bedeutete dem Butler, Miss McMichaels hereinzubitten.
    Diese neue Information über Joanna Drury brachte Pauline plötzlich aus der Fassung. Sie sah David Ramsey an und fragte mit einem kühlen Lächeln: »Wie finden Sie das Leben im westlichen Distrikt, Doktor? Nach Melbourne müssen wir für Sie bestimmt sehr langweilig sein.«
    »Alles andere als langweilig, Miss Downs! Seit meiner Ankunft vor fünf Wochen habe ich kaum einen Augenblick für mich allein gehabt, besonders jetzt während der Schafschur nicht. Wir haben im Studium über Unfälle beim Scheren natürlich viel gelernt. Aber ich hatte keine Ahnung, wie gefährlich diese Arbeit in Wirklichkeit ist.«
    Eine große Frau betrat den Raum. Ihre Krinoline war so ausladend, daß alle kleinen Tische in Gefahr gerieten, umgestoßen zu werden. »Meine liebste Christina!« rief sie und eilte mit ausgestreckten Armen zur Chaiselongue. »Wie ich von Maude Reed gehört habe, geht es Ihnen nicht gut. Das darf einfach nicht so weitergehen, nein wirklich nicht! Ich habe Ihnen deshalb das Richtige mitgebracht!«
    Pauline sah, wie Flora McMichaels einen Korb auf den Boden stellte und begann, Gläser, Dosen und Kuchen auszupacken. »Sie müssen bei Kräften bleiben«, sagte Miss McMichaels, aber es fiel Pauline auf, daß sie bei all ihrer geschäftigen Besorgnis Colin nicht aus den Augen ließ.
    Paulines Unbehagen wuchs. Flora McMichaels war ein wenig zu laut und zeigte ihre Verliebtheit in Colin etwas zu deutlich. Sie war die Verkörperung von Paulines heimlicher Angst – sie war das einzige Wesen auf der Welt, vor dem Pauline Angst hatte. Sie fürchtete weniger die Frau als das, wofür sie stand. Alte Jungfern galten als bedauernswerte Frauen, denen es nicht gelungen war, sich einen Mann zu angeln. Eine alte Jungfer war zu einem Leben der Einsamkeit und Zweitrangigkeit verurteilt. Sie wurde die alleinstehende Tante, die wohl oder übel zur Familie gehörte.
    Pauline fühlte sich in Gegenwart dieser Frauen nicht wohl. Sie beunruhigten sie. Allein ihre Anwesenheit erinnerte Pauline daran, wie unberechenbar das Leben sein konnte – und auch wie ungerecht. Keine

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