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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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ich überfragt. Der Ausdruck stammt noch aus der Zeit der Sträflinge. Viele dieser Männer waren ehemalige Verbrecher, die im Busch die Freiheit suchten.«
    Einen Augenblick lang standen sie sich schweigend in der sonnigen Bibliothek gegenüber. »Ich habe gerade mit Frank gesprochen. Er hat gute Nachrichten für mich. Seit dem Tag am Fluß denke ich darüber nach, ob es nicht vielleicht einen Markt für das Lanolin gibt, das wir aus den Vliesen waschen. Ich habe mit Frank darüber gesprochen. Er kennt jeden Geschäftsmann von Adelaide bis Sydney. Frank hat Kontakt zu zwei pharmazeutischen Firmen aufgenommen, die Interesse an unserem Angebot haben. Sie sind bereit, alles Lanolin zu kaufen, das wir gewinnen!« Er schwieg. »Also hat dieses Jahr für mich nicht nur Verluste gebracht. Und das habe ich Ihnen zu verdanken, Miss Drury.«
    Joanna stellte plötzlich fest, wie selbstverständlich Hugh in diese elegante Umgebung paßte. Das winzige Rindenhaus und der staubige Hof von Merinda schienen nichts mit dem großen Mann in der tadellos sitzenden Lederjacke zu tun zu haben. Diese Seite an ihm hatte sie bisher noch nicht wahrgenommen: der vornehme Schafzüchter. Sie dachte: In einem solchen Haus sollte er leben.
    »Wollen wir zu der Gesellschaft zurück?« fragte er. Er bot ihr den Arm, und Joanna hakte sich bei ihm ein.
    »Wie kommt Adam zurecht?« fragte sie, als sie die Bibliothek verließen. »Ich fürchte, so viele Menschen machen ihm Angst.«
    »Na ja, er scheint das alles nicht so recht zu verstehen.«
    Draußen im Gang bemerkte Joanna etwas, das sie zuvor übersehen hatte. Es war ein seltsames Bild an der Wand. Sie blieb stehen und betrachtete es.
    Es war kein gewöhnliches Gemälde auf Leinwand oder Holz. Es sah aus wie ein Bild auf Baumrinde mit konzentrischen Kreisen und Wellenlinien, Punkten und Strichen.
    Hugh bemerkte ihr Interesse und sagte: »Das stammt von Aborigines. Frank hat mir erzählt, daß ein alter Mann von den nördlichen Stämmen es ihm verkauft hat. Es ist auf Baumrinde gemalt.«
    Je länger Joanna das Bild betrachtete, desto weniger chaotisch wirkte es. Allmählich erkannte sie Formen. Sie entdeckte ein Menschengesicht, eine Frau mit großen Brüsten und einen Mann mit einem erigierten Glied, ein Känguruh mit einem Jungen im Beutel; sie sah einen Baum, Wolken, einen Fluß und schließlich etwas Großes und Bizarres, das alles zu umschlingen schien – eine Schlange, die offenbar dabei war, alles aufzufressen. Das Bild erschreckte sie.
    »Es ist beängstigend«, flüsterte sie und trat einen Schritt zurück.
    »Ich glaube, das sollte es auch sein. Der alte Mann, von dem Frank es gekauft hat, behauptete, das Bild sei die Darstellung eines sogenannten ›Gift-Gesangs‹.«
    Joanna sah Hugh erschrocken an. »Ein ›Gift-Gesang‹?«
    »Es war eine Form der Bestrafung. Die Aborigines hatten sehr strenge Verhaltensregeln. Wenn jemand eines ihrer vielen Gesetze und Tabus verletzte, wurde er zum Tode verurteilt. Eine Art der Hinrichtung geschah durch ›Gesänge‹. Sehen Sie die Gestalten in der Mitte des Bildes? Sie stellen die Schöpfung dar – die Menschen und die Tiere, die Bäume und die Flüsse, die Wolken und so weiter. Die Gestalt am Rand ist die Regenbogenschlange, die sie alle verschlingen will. Ein Hüter oder eine Hüterin der Gesänge könnte einen Blick auf das Bild werfen und den Gift-Gesang anstimmen, der dazugehört. Die Aborigines glauben, derjenige, dem dieser Gesang gilt, wird sterben.«
    Joanna lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Und sterben die Menschen wirklich?« fragte sie.
    »Ich habe Geschichten gehört, wo es der Fall war. Gift-Gesänge gelten als sehr mächtige Magie. Wenn ein Mensch erst einmal ›besungen‹ worden ist, läßt sich der Gesang nicht mehr rückgängig machen. Keine Medizin kann den Betroffenen heilen, denn die Ärzte sind gegen die Macht der Gesänge hilflos.«
    Joanna sah Hugh an. »Könnte es sein«, sagte sie stockend, »könnte es sein, daß meine Mutter sich vor diesem Gift fürchtete?« Hatte sie gehört, wie ein Gift-Gesang gesungen wurde? Hatte man auf diese Weise ihre Eltern verflucht? Oder galt er womöglich ihr? Hat sie das vielleicht als Kind erlebt und konnte sie sich nicht mehr daran erinnern? »Mr. Westbrook, könnte ein Gift-Gesang meine Mutter getötet haben?«
    »Ach, das bezweifle ich, Miss Drury. Wie Sie sagen, war Ihre Mutter damals noch ein kleines Kind. Sie konnte kaum verstanden haben, was geschah.«
    Plötzlich

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