Traumzeit
zufällig diese Geheimschrift?«
Er betrachtete die Zeichen. »Das ist keine Geheimschrift, Miss Drury. Das ist eine Art Stenographie. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, obwohl ich nicht sagen kann, wo ich sie schon einmal gesehen habe.«
»Mr. Downs«, sagte Joanna, und ihre Stimme klang plötzlich aufgeregt, »mein Großvater hat Aufzeichnungen in dieser Kurzschrift hinterlassen. Ich glaube, wenn ich sie übersetzen könnte, würde ich erfahren, wo meine Großeltern gelebt haben, und wo das rätselhafte Stück Land liegt. Wissen Sie vielleicht, wie ich herausfinden kann, um was für eine Kurzschrift es sich dabei handelt?«
»Ich habe ein Buch über verschiedene Kurzschriften. Sie können es gerne mitnehmen, Miss Drury. Ich würde Ihnen auch raten, an die Gesellschaft für Stenographie in London zu schreiben, und einen Text beizulegen.« Frank steckte das Notizbuch wieder ein. »Ihre Geschichte wird in der Montagsausgabe erscheinen. Ihre Identität bleibt natürlich geheim. Ich werde einfach schreiben, wenn jemand Auskunft geben kann über … wie war noch der Name?«
»John und Naomi Makepeace. Sie haben von 1830 bis 1834 in einem Ort namens Karra Karra gelebt.«
Pauline sah, daß Adam müde wurde, und sagte zu dem Jungen: »Warum gehst du nicht in dein Zimmer und ruhst dich ein wenig aus?«
Hugh fragte: »Was ist das für ein Zimmer, Pauline?«
Sie erklärte es ihm, und Hugh erwiderte: »Der Junge bleibt nicht hier. Er fährt mit zurück nach Merinda.«
»Aber hier ist es viel besser für ihn, Liebling.«
»Merinda ist sein Zuhause, und dort wird er auch wohnen.«
»Ich glaube, wir sollten Adam entscheiden lassen, wo er wohnen will.«
»Wir werden den Jungen nicht entscheiden lassen. Der Junge fährt mit uns nach Merinda zurück.«
Pauline lächelte liebenswürdig. »Also gut, Liebling. Schließlich sind vier Monate schnell vorbei, und dann bin ich seine Mutter.«
Beim Abschied trug Hugh den schlafenden Adam zum Wagen. Ein Diener folgte mit den vielen Geschenken, die der Junge erhalten hatte. Joanna stellte plötzlich fest, wie erschöpft sie war. Die Erinnerung an das unheimliche Bild, die Sorge um Adam und Paulines kalte Strategie lasteten wie eine dunkle Wolke auf ihr. Sie mußte sich aber auch eingestehen, daß ein bis dahin unbekanntes Gefühl sie quälte – Eifersucht!
Kapitel Acht
1
Adam betrachtete das Bild eines fliegenden Vogels, den Sarah gezeichnet hatte. Der kleine Junge versuchte zu beschreiben, was er sah. Aber als er die Lippen bewegte, kamen keine Worte, nur: »Sch …« Ärgerlich gab er es auf.
Sarah sah ihn lange und nachdenklich an. »Warum kannst du nicht sprechen, mein Kleiner?« fragte sie. »Welcher Geist lähmt dir die Zunge?«
Er sah sie um Entschuldigung bittend an, und Sarah legte ihm tröstend den Arm um die Schultern. »Schon gut«, sagte sie.
Sie saßen zu ihrer morgendlichen Englischstunde auf der Veranda. Es war Sarahs Idee gewesen. Aber der Unterricht verlief mühsamer, als sie sich vorgestellt hatte. Adams Sprachschwierigkeiten ließen sich nicht mit ihr vergleichen. Sie hatte in einer christlichen Mission unter Aborigines gelebt, die kein Englisch sprachen. Sarah wußte, früher oder später würde sie ebenso gut Englisch sprechen wie Joanna. In der kurzen Zeit, seit sie versuchte, dem kleinen Jungen zu helfen, hatte sie begriffen, daß Adams Problem andere, rätselhafte Gründe hatte.
Adam betrachtete das Bild noch einmal und gab sich große Mühe, die Worte zu bilden. Er wollte es Sarah zuliebe tun. Sie war so freundlich und tadelte ihn nie, wenn er etwas nicht aussprechen konnte. Er wollte die Worte sagen. Er wußte auch, was er sagen sollte. Aber seine Lippen verweigerten ihm den Dienst. Es war wie damals, als …
Aber daran wollte er sich nicht erinnern. Es war etwas geschehen, und er hatte versucht zu reden, aber die Worte kamen ihm nicht über die Lippen, und die Polizisten in Uniform waren ärgerlich geworden. Adam hatte geweint, und sie waren immer ungeduldiger geworden. Dann hatten sie ihn mitgenommen und auf das Schiff gebracht – ganz allein.
Er versuchte es noch einmal. »Walbe«, sagte er. »Schwalbe!« Er sah Sarah an. »Schwalbe«, wiederholte er und deutete auf das Bild.
»Ja«, sagte sie und umarmte ihn. »Sehr gut. Jetzt sag mir, wohin die Schwalbe fliegt …«
Plötzlich erstarrte sie.
Eigentlich war nichts geschehen. Im Hof lag einer der Hütehunde im Staub und wehrte sich mit Schweifwedeln gegen die aufdringlichen
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