Traumzeit
ersten Menstruation einstellen, die ein Mädchen zur Frau machte.
Als Sarah und Adam den Wald erreichten, gingen sie langsamer.
»Sarah …«, begann Adam.
Aber Sarah legte den Finger auf die Lippen. »Psst, du mußt jetzt ganz still sein.«
Sie zog die Schuhe aus, die Joanna ihr gegeben hatte, und ging lautlos barfuß weiter. Sie entdeckten Joanna in der Nähe der heiligen Felsen. Sie saß unter einem uralten Eukalyptusbaum. Sarah sah, daß sie in das Buch ihrer Mutter schrieb.
›Ich habe in Mr. Downs’ Buch über Stenographie nichts gefunden‹, schrieb Joanna, ohne zu ahnen, daß sie beobachtet wurde. ›Es gibt keine Kurzschriftmethode, die auch nur annähernd der meines Großvaters gleicht. Ich habe an die Gesellschaft für Stenographie in London geschrieben. Ich glaube, wenn ich Patrick Lathrop finden könnte, hätte ich eine Chance. Möglicherweise kennt er diese besondere Kurzschrift. Ich muß unbedingt den Schlüssel zum Leben meines Großvaters finden und damit auch den Schlüssel zum Leben meiner Mutter. Letzte Nacht hatte ich einen furchtbaren Traum von dem erschreckenden Bild, das ich auf Lismore gesehen habe. Ich bin vor Entsetzen aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Es war ein sehr merkwürdiger Traum – ich stand in einer Höhle. Ich war nackt, und Mr. Westbrook kam auf mich zu. Ich spürte großes Verlangen nach ihm. Ich sehnte mich danach, daß er mich in seine Arme nahm. Aber plötzlich tauchte eine Schlange auf – dieselbe Schlange wie auf dem Bild. Sie war groß und gefährlich, und ich wußte, sie würde Mr. Westbrook töten. Ich versuchte zu schreien. Ich wollte ihn warnen. Aber mir versagte die Stimme. Ich wollte zu ihm laufen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Zitternd vor Angst wachte ich auf und hatte das deutliche Gefühl einer schrecklichen Gefahr. War der Traum eine Vorwarnung wie der Traum von der Flaute, in die die
Estella
geriet? Ist meine Anwesenheit auf Merinda eine Gefahr für Mr. Westbrook? Wenn ich nur die Ursache dieses Unheils finden könnte!‹
Die Verwaltungen der anderen Kolonien hatten Joanna inzwischen Landkarten und die Ergebnisse der Überprüfung ihrer Unterlagen geschickt. Keine der sehr genauen Karten wies einen Ort mit dem Namen Karra Karra auf, und in den Akten gab es keinen Hinweis auf das Ehepaar Makepeace. Jetzt wollte Joanna ihre Nachforschungen auf Patrick Lathrop, den Studienfreund ihres Großvaters aus der Zeit in Cambridge, konzentrieren.
Sie schrieb weiter: ›Mr. Westbrook hat angeboten, mit einem Mr. Asquith zu sprechen, der in Melbourne bei einer Behörde arbeitet, die für Aborigines zuständig ist. Er meint, ein Mann, der sich berufsmäßig um die Belange der Eingeborenen kümmert, weiß vielleicht einiges über sie. Ich hatte gehofft, Sarah würde für mich eine Quelle der Informationen sein, aber wenn es um ihr Volk geht, dann verstummt sie. Ich weiß nur das eine: Sarah beunruhigt es zunehmend, daß ich so oft hier unten am Fluß bin. Ich glaube, sie möchte nicht, daß ich hierher zu den Felsen gehe. Ich stelle auch immer wieder fest, daß sie mir nachspioniert. Als ich heute nacht durch den Alptraum aufgewacht bin, spürte ich, daß sie mich durch das Fenster beobachtete. Ich hätte gerne mit ihr über den Traum gesprochen, auch über die Bedeutung der Schlange und der Höhle. Aber dann hätte ich ihr auch den Rest des Traums erzählen müssen, mein heftiges Verlangen nach Hugh Westbrook.‹
Joanna hob den Kopf und blickte zu den Bäumen. Durch die grau, rot und rosa schimmernden Stämme der alten Eukalyptusriesen sah sie gerade noch einen Ausschnitt der weiten Ebene von Merinda, die gelb und verbrannt unter der glühenden Sonne lag. Inzwischen waren ihr die Täler und Hügel dieses Grasmeers sehr vertraut, in dem die alleinstehenden Eukalyptusbäume ebenso auffielen wie die Schafherden oder die vereinzelten Reiter. Sie fragte sich, ob auch Hugh Westbrook jetzt dort draußen war, und ihre Gedanken kehrten wieder zu dem Alptraum zurück. Sie spürte mit aller Intensität die grenzenlose Angst und das sexuelle Verlangen.
Die Vorstellung beunruhigte sie, daß ihre geheimen Sehnsüchte nach Hugh noch stärker werden könnten. Der Gedanke an diesen Mann war inzwischen wie ein nicht endender Schmerz, ein verzehrender Hunger, den sie in jedem Teil ihres Körpers spürte – im Herzen, in den Fingerspitzen, in den Schenkeln. Sie wollte Hugh berühren und seinen Körper fühlen. Joanna erinnerte sich daran, daß sie ihn
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