Traumzeit
wollen.«
»Ich werde da sein«, versprach Frank, trat ans Fenster und blickte hinaus. Das aus England importierte Glas war alt und verwandelte das helle Mondlicht in unzählige winzige Prismen. Er fragte sich, was Miss Dearborn wohl am nächsten Abend vorhatte. Wohin gingen Bardamen an solchen Tagen?
»Was wissen Sie über Miss Dearborn?« hatte er Finnegan vor ein paar Tagen gefragt. »Woher kommt sie?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Finnegan. »Sie ist eines Tages hier erschienen und hat erklärt, sie sucht eine Stelle. Na ja, jede Frau kann hinter einer Bar stehen, Frank. Ich habe sehr wohl gesehen, daß sie keine Schönheit ist, und ich weiß, daß meine Gäste etwas Hübsches sehen wollen. Aber sie hat mir ein paar von ihren Zeichnungen gezeigt. Ich habe sofort gesehen, das war etwas ganz Besonderes. Jetzt bin ich froh, daß ich sie genommen habe. Sie ist fröhlich und arbeitet gut. Sie war in den vier Monaten nicht einen einzigen Tag krank. Und sie gehört nicht zu den Frauen, die mir einen schlechten Ruf einbringen – sie ist nicht wie Sal bei Faceys mit ihrem Fünfzehn-Minuten-Bett im Hinterzimmer.«
Dieses Gespräch hatte stattgefunden, als Frank eines Tages in den Pub gekommen war und entsetzt Ivys rotgeweinte Augen sah. Zu seiner Verblüffung stellte er fest, daß ihn das in Zorn und Wut versetzte – Zorn und Wut auf wen und was auch immer sie verletzt haben mochte –, auch wegen seiner Unfähigkeit, ihr zu helfen.
Während er jetzt auf den Park von Lismore hinunterblickte, der im Dezembervollmond wie verzaubert wirkte, mußte Frank sich eingestehen, daß er traurig war – und dieses Gefühl kannte er kaum.
»Was ist, Frank?« fragte Pauline. Er hörte den raschelnden Satin und spürte ihre Hand auf seiner Schulter. »Du hast Kummer. Ist es wegen der Expedition?«
Ja, es hing auch mit der Expedition zusammen. Frank hatte am Vortag von der Rettungsmannschaft, die er auf Suche nach der Expedition ausgeschickt hatte, eine traurige Nachricht erhalten. Bis auf einen Mann, der mit dem Leben davongekommen war, hatte man alle Mitglieder der Expedition tot aufgefunden. Offenbar waren die Männer von Aborigines umgebracht worden. Frank fühlte sich für ihren Tod verantwortlich. Die Expedition war seine Idee gewesen und von ihm finanziert worden. Er hatte geschworen, sich um die Witwen und verwaisten Familienangehörigen persönlich zu kümmern.
»Du schickst noch eine Expedition, Frank«, sagte Pauline, »und sie wird Erfolg haben. Die Männer werden das Binnenmeer finden und nach dir benennen.«
»Nicht, solange die Aborigines dort leben.«
»Warum haben die Schwarzen unsere Leute umgebracht?«
»Sie haben offenbar eine heilige Stätte betreten oder eines ihrer Rituale gestört.«
»Das wird alles aufhören. Solche Zwischenfälle werden seltener und seltener werden. In naher Zukunft wird der ganze Kontinent für Weiße ungefährlich sein.«
»Ja«, sagte Frank, »aber um welchen Preis?«
Pauline sah ihren Bruder prüfend an. »Frank«, sagte sie, »du bist in einer merkwürdigen Verfassung. Was ist denn mit dir los? Dich bedrückt doch nicht nur die gescheiterte Expedition!«
Warum konnte er Miss Dearborn nicht erobern? Und weshalb um alles in der Welt lag ihm soviel daran? Sie redeten an der Bar miteinander. Ivy lachte über seine Witze. Und wenn sie ihm manchmal ein Glas reichte, berührten sich ihre Finger. Warum mußte er ständig an sie denken? Warum konnte er nicht in Melbourne sein, wo er eigentlich hätte sein sollen, und sich um seine Zeitung kümmern? Frank hatte bereits viele Frauen gehabt. Er machte sich nichts vor und wußte, er hatte sie mit seinem Geld verführt – mehr nicht. Aber Miss Dearborn schien es weder auf das Geld noch auf ihn abgesehen zu haben.
Gab es vielleicht irgendwo einen Ehemann? War sie möglicherweise ihrem Mann davongelaufen? Hieß sie wirklich Dearborn? Frank dachte wieder an die verweinten Augen. Sie hatte zu lächeln versucht und wollte den Schmerz verbergen, den er nur ahnte. Der Gedanke machte ihn wütend, daß einer der Gäste – vielleicht sogar einer seiner Freunde – sie beleidigt haben könnte. Was hatte dieser Jemand getan oder gesagt, um sie zum Weinen zu bringen?
Plötzlich fiel ihm das Diamantarmband in seiner Tasche ein. Als er es gekauft hatte, fand er es schön und dachte, es sei ein Kompliment für Ivy. Aber jetzt erschien ihm das kostbare Schmuckstück zu protzig, zu übertrieben und so eindeutig in seiner Absicht, daß Miss
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