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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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und Sichtens; und illustriert sollte es auch sein, vom Pariser Katzenmassaker bis zu den letzten Genoziden. Kommst du denn vorwärts?, fragte ich.
    Hohensee sagte, ich sei ein Volltrottel, wie er voranschreiten könne, wenn er mehr als zehn entzündete oder entzündliche Herde am Körper habe, innen und außen; aber er habe schon einen Platz im Flugzeug nach En Bodek gebucht, das sei ein idyllisches Plätzchen am Südende des Toten Meeres, wo Extrematopiker wie er kuriert werden würden, natürlich zu horrenden Preisen.
    Dann zeigte ich ihm eine Flasche Malt Whiskey, zwölf würdige Jahre alt, aber er verschmähte die Gabe, obwohl ich zwei sterile Gläser mitgebracht hatte, und sagte mir, er vertrage keinen Alkohol mehr.
    Mein Gott, schade, dachte ich, wie könnte man reinen Alkohol vertragen, Bier oder Wein sind contraindiziert und schon wegen der großen Menge dem Metabolismus nicht zuträglich, aber bei den geistigen Getränken macht es eben nicht die Quantität, sondern Klasse und Qualität.
    Aber ging’s dir, fragte ich, unter Alkohol nicht wesentlich besser? Sicherlich, sagte Hohensee traurig, das Gefühl der Freiheit war groß, ich konnte Wildfremde beleidigen, und als Betrunkener hat man immer Schutzengel, die einen weich fallen lassen. Ach, und alles fing mit einer Pollenallergie an, ganz harmlos. Wusstest du, dass es über 20.000 Allergene gibt? – Ich leide, wie Proust übrigens, unter Hausstaub.
    Bist du, fragte ich, mal hinter die Ursachen deiner polymorphen Allergien gekommen, systematisch, meine ich?
    Hohensee sagte, er sei schon lange nicht mehr zu einem halbwegs systematischen Denken über seine Zustände gekommen, sein Körper habe die Zwangsherrschaft übernommen und denke für ihn, der nun keinen Unterschied mehr mache zwischen wahllosen und/oder systematischen Beobachtungen seiner selbst.
    Traurig klang das, und ich empfand ein gewisses Mitleid, blieb aber auf Distanz. Was er da an somatischen Zeichen setzte, war bestimmt nicht ansteckend, aber meine Bazillophobie duldete keine Nähe.
    In Mitteleuropa, sagte er und hustete dazwischen heftig, gehen über 30.000 Mikrosporen pro Quadratzentimeter nieder –, es ist wie ein großflächiger Luftangriff. Nach diesem Satz entschleimte er umständlich seine Nase. Mein Arzt, ein ganz wunderbarer Diagnostiker – er kam durch einen Bienenstich ums Leben, sagte mir einmal, Ursache aller Kontaktstörungen sei der westliche Lebensstil oder das Reizstoff-Bombardement der chemischen Industrie –, das aber sei nur die halbe Wahrheit.
    Ich bat um die ganze.
    Ich sag’s dir, sagte Hohensee, während er eine nässende Stelle unter seiner Achsel – interessante Flecken insgesamt – mit einem seidenen, wohl nicht allergenen Tuch tamponierte, es ist die moderne Zeit schlechthin, der Mangel einer funktionierenden Ethik, der Masse an privaten Moralen, die entsetzliche Bilderflut, die Gewalt und endlich die Beschleunigung; sodann liege es an der Hyperproduktion, von allem immer zu viel und das Zuviele immer überflüssig wie seine widerlichen Zeichen, Pusteln und Symptome – alles Reaktionen und Gegenreaktionen, aber worauf genau?
    Aufs Leben vielleicht, sagte ich automatisch, d.h., ich wollte, hatte intendiert zu sagen: ‹aufs Leben vielleicht›, aber als ich das sagte, kam nur eine dünne, leicht verwaschene Version heraus, die so klang wie ‹aulehm verleich›, was wieder bedeutet, dass ich durch den Konsum von zu viel Malt Whiskey die Kontrolle verloren hatte.
    Was hast du gesagt?, fragte H. mehrmals; seine Flecken leuchteten auf seiner fischbauchweißen Haut.
    Es blieb bei dieser einen Ungelenksamkeit der Zunge, ab da sprach ich ganz langsam wie in einer schweren logopädischen Stunde.
    Das ist doch kein Leben mehr, sagte H., in einem schlecht möblierten Kosmos voller Unverträglichkeiten, Schmerzen etc., aber es gebe gottlob schlimmere Schicksale.
    Wir lebten beide ein bisschen auf.
    Wer, fragte ich deutlich prononciert, und wie schlimm welches Schicksal?
    Pass auf, sagte H., ein wirklich teilnahmsvoller Erzähler schlimmer Fälle, Prof. Bandini aus Mailand, Zeichentheoretiker, ein Bild von Mann, ein wahrer Latin Lover, ein Dante-Kopf, verliebt sich in eine wunderschöne Frau, und beim ersten Liebesversuch besteht sie auf einem Präservativ.
    Ja Gott, sagte ich.
    In der Tat, sagte H., war Bandini arglos und auf Sicherheit bedacht und fügte sich ihrem Wunsch; insgesamt eine höchst befriedigende Vereinigung, aber dann Quaddelbildung am Penis mit anderen

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