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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Neurasthenie – die völlig normal ist – wird’s einmal eine hübsche Neurose. Ob ich Alkoholprobleme hätte?
    Ich repetierte die Geschichte, die ich schon dem Heilpraktiker Guth vorgetragen hatte. Die künstliche Betäubung oder Abstumpfung, sagte Cordes zu meiner Überraschung, sei eine ganz vorzügliche Idee, ich solle es mit Cocktails versuchen, müsse aber gleichzeitig mit dem Rauchen anfangen, nur die kombinatorischen Gifte wirkten erfolgreich.
    Ich dankte ihm sehr für seinen Rat. Mir war immer noch übel. Im Kasten war es still, Cordes schien keinen Sprechakt mehr zu planen, oder er war mit dem Konzept noch nicht fertig. Doch dann ertönte ein Würgegeräusch aus der Kiste; ich stürzte zum Waschbecken und gab Ölsardinen und die beiden Armagnacs von mir.
    Auf dem Weg zur Tür – der Doc hockte stumm in seiner Kiste und wartete ergeben auf den Asthma-Anfall, der ihn zu überfallen pflegte, wenn ihn ein Proband verließ – hob ich eine Ecke des Perserteppichs auf, und da lag eine verzweifelt gekrümmte, sandfarbene Wurst. Cordes machte auch Aversions-Therapien, und die Wurst war einfach vergessen worden.
    30. Januar. Abends, spät.
    Wenn die Leidens-Reagibilitäten keine Form haben, müssen dann die Reaktionen auf sie eine haben? Und wenn, welche zum Teufel?
    Immer neue Probleme. Der Herpes blüht und gedeiht.
    Habe mir systematisch alle Leidenspunkte, Reaktionen und Gegenreaktionen notiert, danach mit Cocktails experimentiert. Im Kopf ein bisschen durcheinander, aber sonst wohlauf. Zigaretten sind ein teures Laster, die erste schmeckt jeden Tag scheußlicher, später geht es dann. Der Cocktail ist ein Mischgetränk, eine bunte Sache, sehr schmackhaft und hoffentlich bekömmlich. Habe nach einem Lehrbuch gemixt, zuerst einen Manhattan, der aus Wermut, Canadian Whiskey und einer kleinen Dosis Angostura besteht; die Ölsardinen – des Doktors Präventivmaßnahme vor dem Cocktail – gingen nur schwer runter, aber es muss sein, dienen die portugiesischen Sardinen doch einer großen Sache.
    Den Manhattan bei mir behalten, maßvolles Triumph-Gefühl, darauf einen Rusty Nail, Scotch Whiskey und 5 cl Drambuie, blieb auch bei mir, ohne zu klagen.
    Der nächste Morgen war eigentümlich – die gleichen Symptome wie immer – Übelkeit, Schwindel, Globus Hysterikus-Abstürze, Schweißausbrüche, ein blühender Herpes, Unterlippe, Tremor etc. –, aber jetzt hatten sie eine Ursache! Alkohol.
    Nach den zwei ersten Cocktails auf Ölsardinen mixte ich mir alle dreißig Minuten einen neuen: einen Rob Roy, dann einen Whiskey Sour, dem ein Gimlet folgte, denn auch der Gin ist ein feines Getränk und wirkt. So untersuchte ich Ursachen und Wirkungen und hielt spätabends wegen des Stupors im Hirn sogar TV-Nachrichten aus. Der Papst hat sich beim üblichen Erdkuss an einer Glasscherbe die Oberlippe zerschnitten, ein Gerontophiler hat eine Greisin hinter einer Telefonzelle vergewaltigt, Waldbrände in Spanien.
    Und, liebes Tagebuch, es ergab sich keine Animosität, ich trank, ich schaute zu, ich hatte Distanz, während die Cocktails ihre Arbeit verrichteten.
    Ein Problem bleibt – wo ist die Verträglichkeits- oder die Unverträglichkeits-Grenze? Bin entschlossen, mir einen Messbecher zu kaufen, das minimiert das Problem ganz entschieden. Will morgen das Haus verlassen, im Supermarkt (Schutzmaske und Handschuhe) Ölsardinen, Gordons Gin und Whiskey besorgen.
    Auf dieser gesunden Grundlage (bislang ohne Beschwerden) Hohensee besuchen, um zu sehen, wie seine Alkoholkarriere im Augenblick aussieht.
    1. Februar
    Den Besuch bei Hohensee hätte ich unterlassen sollen, wie man überhaupt den Umgang mit Allergikern oder Atopikern meiden sollte. Sein Anblick, wie er da auf Alufolie in seinem mit Alufolie ausgeschlagenen Zimmer auf dem Alufolienpuff saß, erinnerte mich stark an Angelika kurz nach dem Ausbruch ihrer Hautkrankheit, die eine waschechte periorale Dermatitis war, also im Gesicht rote Knötchen, vor allem um den Mund und die blauen Augen. H. litt im Gesicht, wo sonst, dass konnte ich selbst auf Distanz sehen, an einem sogenannten Rhinophym, d.h., seine einstmals zarte, sensitive Nase hatte sich in einen geschwollenen Kolben verwandelt, weil die Talgdrüsen seiner Nase wegen eines Mittelchens verrückt spielten.
    Zuerst tauschten wir Höflichkeiten aus, so über die Produktion oder Nicht-Produktion, denn er schrieb an einem Buch über Die Gewalt in der modernen Gesellschaft und war noch im schönen Stadium des Sammelns

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