Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
wäre eine Willensleistung erster Güte gewesen, hätte es geklappt, aber es ging aus vielen Gründen nicht – Widerwillen, psychisch, und Widerstand, physiologisch. Wie ich weiß, brauchen andere Leute keinen Entschluss oder das tröstliche Bild eines siegreichen Deliriums, sie schaffen es einfach so, auch ohne nennens werte Willensleistung. Aber es gibt keinen anderen Ausweg und keine andere Rettung, ich muss Alkoholiker werden. Gottfried Keller war einer, Edgar Allen Poe war einer und Beethoven wohl erst recht. Massenhaft viele waren es, und alle haben es geschafft.
Freilich ist da ein Punkt, eine Art Hindernis, eine lästige Naturbarriere – ich vertrage partout keinen Alkohol, gleichgültig, welche Klasse von geistigen Getränken, unabhängig von Feuer, Farbe und Gehalt. Hohensee, dessen maroder Magen alles verweigert, wurde durch die Lektüre einer Apothekerzeitung zum erfolgreichen Alkoholiker. In dem Artikel stand, regelmäßiger Weingenuss – aber rot, nicht weiß! – sei gut für die Herzkranzgefäße, demontiere das schlechte Cholesterin, beuge dem Infarkt vor, und die sog. Antioxydantien erledigten gewisse Schadstoffe, und das Blut verklebe dann auch nicht so schnell. Seit H. mehr als nur regelmäßig trinkt, schlummert immer mal wieder das Prinzip Hoffnung in ein paar Relativsätzen seiner kulturpessimistischen Prosa, und er fügt sich mit der Rasierklinge nur noch sonntags blutige Wunden zu.
Habe leider vor Bier unüberwindlichen Widerwillen, der bis zur Grenze des Ekels geht, soll aber in hohen Dosen verlässlich abstumpfen. Cognac erzeugt Übelkeit und Sodbrennen.
17. Januar
Das erste Experiment ist misslungen. Hatte beim Weinhändler einen teuren Bordeaux gekauft, eine Empfehlung, einen Château Doisy – Vedrines, Deuxieme cru, gottlob, und ich trank, meinen inneren Befehlen folgend, Glas nach Glas. Zuerst passierte gar nichts, nur die Angst vor Explosionen verminderte sich, mein Tremor ging ein bisschen zurück, die Kopfschmerzen blieben konstant, Cephalgien unklarer Genese, wie Dr. Guth immer sagte. Der erwartete Stupor, der die gereizten Sinne und das nervöse Hirn betäuben sollte, blieb leider aus.
In der Nacht spülte mich eine schwarze Wolke von Übelkeit ans Klosettbecken, und ich gab die teure Flüssigkeit wieder von mir. Die sog. ‹Niederen Sinne›, wie Kant mal sagte, sind leider noch geschärfter als üblich.
In dieser hoffnungslosen Lage ging ich zu meinem Heilpraktiker und Chirologen Dr. Guth, der auch Allergiker war, ich wusste aber nicht, wogegen, um ihn um Rat zu fragen. Ich hätte natürlich auch zu meinem Analytiker gehen können, aber der war Phobiker, freilich ein larvierter, aber auf die wiederum reagiere ich ziemlich allergisch.
Ich sagte zu Dr. G., ich wolle Alkoholiker werden, vertrüge aber leider keinen Alkohol.
Das sei eine schlechte Voraussetzung, sagte er, ob ich mir nicht eine andere Sucht oder ein weniger contraindiziertes Laster aussuchen wolle.
Ich blieb in diesem Punkt fest und sagte, es müsse die Alkoholkarriere sein, weil man die zu Hause betreiben könne. Darauf stellte mir Guth die Warum-Frage, während sein linkes Auge unaufhörlich zuckte. Auf der linken Wange hatte er ein blumenkohlähnliches, korallenrotes Mal, das nässte.
Ich sei extrem ängstlich, sagte ich, leide unter diversen Affekten und allergischen Reaktionen, fürchtete mich vor allem und jedem, also vor Tier und Mensch, der Umwelt, der Gesellschaft etc., und sähe nur in den Delirien des systematischen Alkoholgenusses eine gewisse Zukunft.
Das sei alles nichts Ungewöhnliches, sagte der Doktor, ein Mensch, der auf diese Zeit und ihre Gesellschaft nicht mit Hostilitäten, Allergien, Pusteln, Idiosynkrasien, Schuppenflechten, Animositäten, Erstickungs-Anfällen, Phobien und Neurosen auf dem Fundament diffuser Angst reagiere, sei anomal oder, wie die meisten, pervers.
Pflegen Sie Ihre Neurosen, rief der Arzt mit dem rechten Lid zuckend, kultivieren Sie Ihre allergischen Reaktionen, und suchen Sie vielleicht die lehrreiche Gesellschaft anderer Phobiker! Suchen Sie den Gedankenaustausch mit ihnen!
Ich habe, sagte ich, Angst und Abscheu vor anderen.
Mehr als begreiflich, sagte G., sei diese Homilophobie, ob ich auch unter der Angst vor dem Allein-Sein, der Einsamkeit, litte. Die Monophobie, sagte ich stolz, sei für mich ein Fremdwort, wie auch z.B. die Angst vor Bärten.
Keine Pogiophobie, murmelte der Doktor in seinen Bart.
Zum Schluss fragte ich, wie man meinem
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