Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
ich, ob sie auch einen Vater in petto habe.
Leider nicht, sagte Beata, aber sie müsse nach Wien.
Es gibt so viele Formen der Demenz, wie es Menschen gibt.
Das sei kein Trost, sagte Beata.
Liebe ist Trost wie die Wahrheit, sagte ich, das schrieb der amerikanische Philosoph Emerson in sein Tagebuch, nachdem er bei einer Hure in einem Puff nahe Sacramento versagt hatte.
In Berlin, sagte sie, will ich einmal die Singramsche Arche sehen.
Immer willkommen, sagte ich, jetzt und fürderhin; das Bild elektrifiziere durch seine Unmenge positiver Impulse, ich hätte allerdings das Original verkauft und nur noch eine große Kopie.
Schreiben Sie alle diese Geschichten auf, sagte sie mit einem kühlen Blick, das ist die reine Therapie für Sie.
Ich verachte das Schreiben als Therapie, sagte ich gekränkt, es gehe mir nur um eine stimmige Rekonstruktion alter Ereignisse – die aktuellen beträfen mich nur am Rande –, aber da gebe es eine Ausnahme in der Jetztzeit; und ich fragte direkt, ab sie mich auf der Stelle, d.h. nach dem Wiener Ausflug, heiraten wolle.
Sie stieß ein zartes Grunzen durch die Nase aus und bestellte bei einer Saaltochter zwei Pflümli; leider trank ich das Zeug, und das sollte Folgen haben.
Sie sind, sagte sie, ein ewig instabiler, leicht neurotischer Krisentyp, nein danke. Sie habe genug am Hals.
In meinem armen Hirn herrschte Ebbe.
Vor den Glasfenstern, will sagen, draußen im Park, senkte sich sehr passend eine Nebelwolke sehr frisch aus dem Gebirge. Ich kann die Sprache der Tiere, sagte ich.
Was Sie nicht sagen, erwiderte sie gleichgültig.
Dann zitierte ich eine Sentenz von Cechov:
Jeder Idiot kann eine Krise meistern, es ist der Alltag, der uns fertigmacht.
Die Adipositas-Gruppe Block B enterte in diesem Augenblick das kleine Restaurant, lauter alte, verfettete Bussarde, die kreischten und schnatterten. Ich übertönte den Lärm und sagte in einem trauervollen Tonfall: Sie werden mir doch aus Wien schreiben?
Vielleicht, sagte die Schöne. Ich küsste ihre kalte, nach Karbol duftende Hand.
Sie erhob sich und verschwand.
Ich bezahlte die immens hohe Rechnung bei der extrem dürren Saaltochter. In meinem Magen fochten die Tortue, das Beefsteak, der Fendant und der Schnaps grimmig gegeneinander. In meiner Luxustoilette (mit einem Bidet aus Acryl, gletscherblau) erleichterte ich Magen, Darm, Seele und Geist; eine sozusagen ganzheitliche Reinigung, nach der es mir besser ging.
Legte mich auf mein geräumiges, für eine Person viel zu großes Bett und bedachte mein trübseliges Liebesleben. Goethe fiel mir ein in meiner Pein: ‹Die Frauen sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel legen.›
Wieder Fastenkur.
Frei ist nur der Mensch, der keine Emetika mehr braucht. Nach dieser monumentalen Erkenntnis ging ich wieder an die froschgrüne Schreibmaschine; zurück in die jüngste Vergangenheit, adieu, liebe Beata, oder Servus!
Wegen der inkonsistenten Erinnerungen muss der Leser dieser Memoiren – Satz streichen – Subjekt fehlt, und die Löschtaste funktioniert so fehlerhaft wie der Verfasser.
Neues Blatt.
39 Bevor ich die Berliner Katastrophen notierte –, mit allen kostbaren oder windigen Details, las ich zur Inspiration und Freude in den Diaries meines Großvaters Edward (1860 bis 1933), in diesem Fall Kladde Numero XII unter dem Rubrum: Tode im Haus, Geburten im Zoo; eine Lektüre, die zu meiner Stimmung passte.
(Aus unerfindlichen Gründen hatte Edward alle Jahresdaten getilgt, seine Schrift ist klein, penibel und gänzlich ohne Defekte, was einen Graphologen entzückt hätte.)
Singram-House, 19** –
Jenkins der Butler starb, wohl an einer Influenza, aber nicht in Frieden, er hatte 13 Jahre; Paviane werden nicht sehr alt. Da lag er auf seinem Totenlager auf dem Rücken, die schwarzen Pfoten auf der Brust; er trug das rot gefütterte Justeaucorps aus kostbarem Brokat, eine feine Schneiderarbeit.
Leider kann man von einem Tier keine letzten Worte erwarten, wäre freilich eine schöne Sache.
Bei mir waren, als es mählich zu Ende ging, Baron Strehlow, Dr. Stache und der greise Veterinär Mauser, der hier auf House Singram seit 20 Jahren an seinem Gnadenbrot mümmelt, wie ich überhaupt von Schmarotzern umgeben bin (s. auch Kladde IX).
Jenkins hatte einen leidenden Zug um die graumelierte Hundeschnauze, die zu seinem Zustand passte, er machte sich nichts vor. Wenn er husten musste, hielt er sich sorgsam ein battistenes Tuch vor die Schnauze, betrachtete kurze Zeit den
Weitere Kostenlose Bücher