Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
sterben , das wäre ein hübscher Spruch, sagte Strehlow.
Blödsinn, sagte ich, Jenkins war – in Menschenjahren gerechnet – ein Greis, von wem, fragte ich, diese dumme Sentenz sei.
Byron, sagte Strehlow, Don Juan.
Ich kann Romantiker nicht ausstehen; alles Quatschköpfe.
Da sagte der Baron, man müsse meinem Sohn Max nach Berlin schreiben – er habe Jenkins sehr geschätzt.
Ich setzte Max auf die Gästeliste; Max ist ein guter Maler, nicht so gut wie Whistler, aber immerhin; malt prominentes Gesocks der sog. Berliner Gesellschaft.
Der Baron bat um eine Erfrischung, ich klingelte nach Johnson und bestellte eine Flasche Brandy.
42 Ab hier wird das sonst penible Tagebuch Edwards ein wenig sprunghaft; aber er bemüht sich redlich, alles, was im Augenblick der Fall ist, unterschiedslos zu verzeichnen.
Nach einem leider verlorenen Notat (Diary III, Rubrum Menschen – Maschinen – Tierseelen) zitierte er einmal einen Kritiker seines Mathematiker-Idols Charles Babbage: «Die Anzahl der von ihm verwendeten Wörter deckt sich fast genau mit der Anzahl der von ihm beschriebenen Dinge.» Das gibt mir zu denken.
43 Weitere mühselige Recherche über ein Epitaph für Jenkins. Der Brandy kam endlich nach einer halben Stunde. Butler Johnson transportierte die bauchige Karaffe mit beiden Händen und übertrieb wie üblich seine Gebrechen. Muss ihn abschaffen, wie so vieles.
Ließ ihn Gläser aus dem blauen Salon holen.
Dachte an die Totenrede und wer sie halten sollte.
Am besten wohl Strehlow. Hat ein angenehmes Organ und für Leichen-Reden geeignet, hatte er schon x-mal bewiesen.
Johnson brachte mit viel Zittern – Tremor bei ewiger Timidität! – zwei Gläser.
Musste an die Qualitäten von Jenkins denken. Wie schön sah er doch aus in seiner gelben Livree, wie zierlich er die Karaffe mit dem Brandy in den Pfoten hielt, über die Spitzenmanschetten fielen … die Karaffe war natürlich nur noch halb voll, denn mein Jenkins liebte einen guten Schluck – aber niemals sah ich ihn schwanken, seine Bewegungen waren immer präzise und harmonisch, auf zwei Beinen wie auf allen vieren.
Diese wunderbare Harmonie sollte ein Partikel der Totenrede werden.
Ich notierte: Jenkins’ Klugheit, sein Charme, die sportive Eleganz.
Durch das große Fenster der Bibliothek sah ich in den kahlen Park. Im Nebel bei leichtem Regen sahen die Bäume aus wie Trauergäste.
Metaphern sind nicht meine Stärke.
Was gefunden, fragte ich; dachte, der Baron stocherte in seinem unversiegbaren Zitatenschatz.
Mit der Hilfe eines doppelten Brandy brachte er ein Zitat hervor:
«Glücklich ist der, der stirbt, bevor er den Tod gerufen hat.»
Von wem, fragte ich.
Bacon, sagte Strehlow.
Welcher, fragte ich, es gebe deren zwo.
Keine Ahnung, sagte Strehlow.
Ich klingelte nach Johnson, der auf sich warten ließ; trieb sich zur Teezeit immer in der Küche herum. Befahl ihm, den Bibliothekar Malmot heranzuschaffen, der seinen freien Tag hatte.
Wir fragten, welcher der beiden Bacons das kryptische Zitat ersonnen haben mochte.
In der Tat rätselhaft, sagte Malmot, ein agiler, kleiner Mann mit schwarz behaarten Händen und einem ebenso gefärbten Ziegenbart.
Es existierten, sagte er gravitätisch, in der Tat zwei Bacons, Francis Bacon, 1561 bis 1626, der die traditionelle Philosophie verachtete, weil sie deduktiv und syllogistisch vorgehe anstatt induktiv und empirisch –
Das ist mein Mann, sagte ich da, ein Empirist reinsten Wassers, gekauft das Zitat, mag’s auch unverständlich sein. Hoffentlich hätten wir den Mann im Haus.
Oja, Sir, erwiderte Malmot, Francis Bacon sollte vorhanden sein, freilich ist es nach der alphabetischen Ordnung der Buchstabe B, und die Verfasser mit B befänden sich alle sehr hoch oben in der 12. Reihe.
Dann besteigen Sie die Leiter und holen Bacon runter, sagte ich.
Gewiss, Sir, sagte Malmot, er sei nicht schwindelfrei und fürchte bei diesem Abenteuer von der Leiter zu stürzen.
Wer, fragte ich nun doch gereizt, die alphabetische Ordnung angerichtet hätte?
Mein Vorgänger, sagte Malmot sofort, der Bibliothekar Frécot, der vor sechs Jahren von der Bücherleiter stürzte, und zwar beim Buchstaben W, als der Zufall es gewollt hatte, dass W und auch Z wieder in der 12. Reihe ihre Heimstatt finden mussten.
Was das Zitat betreffe, sagte er, hege er die zuverlässige Vermutung bis zur Wahrscheinlichkeit, diese Sentenz müsse man Voltaire zuschreiben, weder Francis noch Roger Bacon.
Mir war’s inzwischen egal. Das Zitat gefiel mir
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