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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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lauschte dem Poltern des Fahrstuhls abwärts, bis er mit seinem pneumatischen Stöhnen im Erdgeschoss landete.
    Auch Passow stöhnte.
    Ich ließ ihn allein, pinkelte traurig auf eine tote Kakerlake (es war Hörmann, dessen Leichnam im Becken schwamm) und vergrub mich in den Tälern des alten Sofas.
    Was für eine Nacht.

 
    35 Die Schweiz ist recht schön, aber wegen der vielen Berge unübersichtlich; mal geht es im Gelände abwärts, dann wieder aufwärts, und das Terrain ist oft steinig, also beschränkte ich meine Spaziergänge auf zwei Stunden am Tag zwischen 14 und 16 h; mit der Sonne ist nicht viel los, viel Schatten wegen dieser Berge, früh fällt die Dunkelheit.
    Das Schreiben ist anstrengend, wenn man es jeden Tag betreibt; immerhin sind ein paar Punkte abgehakt. In der Bibliothek fand ich eines Tages eine alte Taschenbuchausgabe von Orwells 1984 – auf der Seite 239 entdeckte ich endlich den vergessenen Satz: Wer die Vergangenheit kontrolliert, der kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, der kontrolliert die Vergangenheit.
    Das klang in meinen Augen logisch, und ich beugte mich über die Vergangenheit, aber es ging mir nicht besonders gut; vielleicht lag es an Dr. Spoerris rigoroser Fastenkur, mit deren Hilfe ich rastlos mein Inneres, also Geist & Körper, reinigte.
    Herzliche Atmosphäre bei Dr. Spoerri, der einen Vollbart hat, wie der alte Tolstoj, den er maßlos verehrt, vor allem die späten pazifistischen Schriften. Er läse gern einmal, sagte er mir, Krieg und Frieden , aber nur als Auswahlband in der verdienstvollen Reihe von Reader’s Digest .
    Woran fehlt es uns denn?, fragte er an einem nebligen Freitag.
    An gar nichts, sagte ich, im Gegenteil – von allem zu vie: Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Kälteschauer, Herzklopfen und Schlaflosigkeit, ganz zu schweigen von Angstgefühlen, Stimmungslabilität und Depressionen.
    Alles ganz normal, sagte Dr. Spoerri, die Symptome seien ihm vertraut, mit meinem Hormonhaushalt sei etwas in Unordnung.
    Ja dann, sagte ich mir, wenn die Hormone schuld sind, sollte man etwas gegen sie unternehmen.
    Dr. Spoerri entwarf ein neues Programm, man müsse die Diät absetzen – aber schleichend –, viel Bouillon, weißes Fleisch und ein. Paar Injektionen, die Frau Beata mir jeden Morgen in den Hintern verabreichen werde. Mut, Herr Singram, sagte er in seinen überhellen Räumen, Sie sind für Ihr Alter in einem ganz ausgezeichneten Zustand.
    Leider weiß ich nicht genau, wie alt ich bin – ich vergesse es manchmal, wie so vieles. Muss im Pass nachschlagen, Lichtbild mit trauriger Person aus dem Photoautomaten am Halensee, Henriettenplatz.

 
    36 Frau Beata erschien; sie war eine nicht ganz perfekte Kopie meiner Beatrice Margoti; alle meine extrem aufmerksamen Nervensysteme erlitten einen Schock, der bestimmt nicht heilsam war.
    Sie hatte die schönen, großen Augen meiner Beatrice, sie hatte hohe Backenknochen, den schönen Mund und das herzförmige Kinn, aber es war doch nur eine schwächliche Kopie; ich musste herausfinden, ob sie eine Schwester in Berlin hatte.
    Ihre Injektionen, je zwei in beide welken Hinterbacken, waren schmerzlos. Leider war der Kontakt nicht so eng, wie ich gehofft hatte. Sie roch – retrospektiv an diesem Freitag – nach einer medizinischen Seife.
    Sie sind Schriftsteller, nicht wahr, sagte sie.
    Aber nein, sagte ich, während ich voller Scham mein Genital mit beiden Händen bedeckte, ich versuchte nur, durch die schriftliche Fixierung der Vergangenheit mein Gedächtnis zu affizieren, auf dass kein Partikel verloren gehe. Kontrolliert man die Vergangenheit, so kontrolliert man auch die Gegenwart.
    Ja, das ist gut, sagte sie, und wie sah Ihre Vergangenheit so aus?
    Up and down, sagte ich, mal so und dann auch anders, wie das Leben zwischen Mensch und Tier mitunter spielt.
    Tiere!, sagte sie.
    Es war eine angenehme Nähe, Tiere schienen sie zu interessieren. Ich spürte einen leichten Hauch eines mir unbekannten Dufts. Sofort kehrten die Lebensgeister reumütig aus den verödeten Zonen zurück.
    Frau Beata, sagte ich, wäre es nicht Zeit für einen Apéro in einem gemütlichen Restaurant?
    Zu früh, sagte Beata, Pause erst um 18 Uhr.
    Schade, sagte der düpierte Patient, eine wahre Fastenpause.
    Oha, sagte Beata, Sie sagen aber auch Sachen …
    Frau Beata, sagte ich getragen, ich war Tierheilpraktiker, Ethologe und ein Spezialist für verhaltensgestörte Kleintiere. Ich bemühte mich auch um Männer, Kinder und

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