Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
träume schon von Schneehühnern, ja, sie erscheinen gerupft mit ihren ebenfalls gerupften Küken an einem Strand mit Petersilienwäldern, während ich in einem Meer von Aspik versinke.
Pardon, sagte ich, Lieber, dann werden Sie diese Nacht einmal nicht von Schneehühnern träumen, was Ihnen entgegenkommen dürfte …
Die Wahrheit ist, dass wir einen gewissen Überschuss an Schneehühnern haben, eine Hyperpopulation war entstanden durch die ingeniöse Futtermischung unseres Veterinärs Mauser, deren Zusammensetzung er niemandem verriet. Ursprünglich hatte er die Schneehühner gezüchtet, weil er leidenschaftlich gern Eier aß – pochiert, gebraten, weich oder hart. Dr. Adam (oder ein anderer Arzt) riet ihm ab, sein Cholesterinspiegel werde zu hoch. Mauser glaubte nicht an Cholesterin, das sei eine windige amerikanische Erfindung. Während seiner Eier-Diät, die ihm gut bekam, erfand Mauser einen Brutapparat mit Wärmeschlangen, in dem jene Eier ihren Platz fanden, die für Tier und Mensch bestimmt waren, also auch Schneehühner für die Raubtiere. Will sagen, die Hühner brüteten wie die Besessenen, die Brutapparate erfüllten ihre Funktionen, wie es sich gehörte, ein Ende dieser immensen Produktivität war nicht abzusehen.
Bedauerlicherweise wurden die Raubtiere der Schneehühner überdrüssig. Die Füchse aus den Wäldern mochten Schneehuhn, aber ihr Appetit hielt mit der Gesamtpopulation nicht recht Schritt.
Ich weiß, die Subsistenz-Wirtschaft wirft viele Probleme auf, die nur ein überlegener Geist in Schach halten kann. Verschob die Lösung dieses Problems auf die Zeit nach dem Dinner; Schneehuhn gebacken nach Wiener Art. Unterbrach diesen Strom ernster Gedanken an unsere marode Subsistenz-Wirtschaft und fragte den Baron, ob er endlich ein Epitaph gefunden habe.
Ich entdeckte eine Notiz bei Schopenhauer wieder, sagte Strehlow, die ihn sein Lebtag in traurigen Stunden erhoben habe, ob ich sie hören wolle?
Raus damit, sagte ich.
Gern, merken Sie auf:
«Der Tod sagt: Du bist das Produkt eines Aktes, der nicht hätte seyn sollen: darum mußt du, ihn auszulöschen, sterben.»
Ein schöner Satz, gewiss. Eine tiefsinnige Sentenz, allemal.
Aber es war nicht ganz das, was ich mir für Jenkins gewünscht hatte. Zudem sei diese Sentenz ein wenig irreführend als Epitaph, denn die Existenz von Jenkins hatte ja durchaus sein sollen; wer alles auf der Welt hätte nicht sein sollen, sei selbstverständlich eine immer wieder zu stellende Grundfrage.
Sie rühren an die Basis des Seins, sagte der Baron fromm.
Ich riet zu Nietzsche, ein immer mal wieder ergiebiger Kopf, jedenfalls in seinen misanthropischen Schriften.
Strehlow ließ Schopenhauer fallen und suchte nunmehr bei Nietzsche, in einem fetten Band mit dem Titel Das Schönste von Nietzsche, ein Hausbuch.
Während der Recherche schrieb ich meinen ersten Versuchs-Satz für die Totenrede auf Jenkins, der da hieß –:
Jenkins ist/lebt/weilt/west/falsche Optionen tilgen – nicht mehr unter uns. Der immer sinnlose Tod riss ihn aus unserer Mitte/meiner Seite/von uns.
Die Ärzte Stache, Adam und Mauser diagnostizierten einen Katarrh, Bauchweh, eine gutartig vergrößerte Prostata, eine Lungenentzündung, eine Laryngitis und Influenza. Die war’s aber nicht. Mein Butler Jenkins starb den Bolus-Tod, indem er einen Shawl verschluckte/in der Form eines Foulards/Nein, heute ist kein Tag für Totenreden!
Ich begnügte mich mit Stichwörtern der Art, die kein Puritaner verdammen konnte: – Jenkins und sein finsterer Humor, seine Reflexionsfähigkeit, sein tiefes Verständnis für das Wesen des Menschen; ich wollte an seinen gesegneten Appetit erinnern, seine parodistischen Fähigkeiten, aber auch an seine Respektlosigkeit gegenüber anderen Tieren, außer den Raubkatzen. Mit welcher Hingabe er meine Hunde flohte, an einem jeden Abend auf der Terrasse im Lichte der scheidenden Sonne, und – nicht zuletzt – wie er nach des Tages Mühen die Pfoten zu einem Gebet faltete, dessen Text nun für alle Ewigkeit nicht bekannt werden wird, schade!
Strehlow fand natürlich nichts bei Nietzsche, hätte mich auch gewundert. Fragte, ob er eigene Ideen ausgeheckt habe? Hatte er nicht. Schlug vor: «Hier ruht Jenkins in Gott».
Gefiel mir nicht, war zu schlicht, auch wenn man Gott wegließ, wurde es nicht besser.
Baron, sagte ich, schließen wir diese müßigen Gedankenspiele ab. Notieren Sie das Epitaph, das uns sämtliche Umwege erspart –
ER WURDE GEBOREN, ARBEITETE UND
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