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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Propionen, massenhaft Mikrokokken und andere Parasiten. Was sich in den Därmen herumtrieb, hätte ich erst nachschlagen müssen. So groß war mein Interesse nicht.
    Steh auf, sagte ich, und wasch dich, und versetzte ihm einen Uppercut mit dem nassen Waschlappen.
    Passow stöhnte.
    Mein Blick fiel auf ein Blatt, auf das ich ein Zitat kalligraphiert hatte:
    «Wie Du denkst, so wirst Du sein!
    Darum fort mit allen veralteten, müden, ausgetragenen
    und negativen Gedanken! Fülle Deinen Geist mit neuen,
    frischen Gedanken der Liebe, der Güte, des Vertrauens
    und des Glaubens.
    Dadurch kannst Du tatsächlich dein Leben erneuern!»
    Norman Vincent Peale hatte recht; Edward auch.
    Wo bin ich?, fragte Passow (zu Recht, wie ich fand).
    Du hattest, sagte ich so gütig wie Florence Nightingale, einen Kollaps erlitten.
    Ohja, ohja, das war’s, sagte Passow.
    Er wirkte beschädigt. Sagte, er müsse sein Leben ändern.
    Das sei immer gut, sagte ich, er müsse es – als Idee – sehr schnell ändern, in einer halben Stunde stehe Olga auf der Matte.
    Olga, sagte Passow, er kenne keine Olga.
    Sie bringt den Hund mit, sagte ich.
    Gott hat mich verlassen, sagte Passow.

 
    65 Nach landläufigen oder populären Erklärungen diverser Philosophen in einschlägigen Lexika wird der Zufall so definiert:
    a) Ein nicht beabsichtigtes und nicht vorhergesehenes Ereignis oder
    b) eine Tatsache, die vom Willen unabhängig und der Erkenntnis unzugänglich ist,
    c) kann man sich sparen – als ein Zufälliges wird der durch Kreuzung zweier Kausalreihen bewirkte Vorfall bezeichnet. Der Verfasser ist wahrscheinlich Versicherungsagent.
    Die Reihenfolge dieser Zufälle war erstaunlich, nicht die Zufälle (oder Geschehnisse, wie unser alter Freund Bergengruen gesagt hätte).
    Der endliche Abgang von Passow war ein Dope, das vitalisierend auf mein verschlafenes Nervensystem wirkte; ich fühlte neue Kräfte, denn Olga kam wirklich – eine hübsche hagere Henne mit rotem Haar – und schleppte Passow ab und weg und fort, wie ich hoffte, für alle Zeiten. Sie brachte einen kleinen weißen Köter mit, der auf seinen krummen Beinen den Dachboden erforschte, bis er auf die beiden Schildkröten stieß; er markierte kurz das rechte Bein meines Ohrensessels und floh dann zur Dame seines Herzens.
    Passow wurde von seiner Olga halbwegs repariert und durch ein Bad saniert; sie schnatterte die ganze Zeit zärtliche Flüche in einem mit Französisch legierten Deutsch-Russisch und boxte ihn bei seinen Gängen zwischen Stryker-Bett und Bad in die Milz und auf den Hintern.
    Adieu, Servus. Lebwohl, sagte er zum Abschied.
    Merci, Monsieur, sagte Olga, dieser Mann, er macht mehr Mühe als verdient.
    Dann war es still. Von draußen hörte ich in diesem schönen Lebens-Augenblick die Geräusche der alten und fremden Außenwelt – das Rauschen der Autos auf der Stadtautobahn und das Pfeifen der S-Bahn.
    Passow hinterließ mir im Klosettbecken ein hässliches Exponat – groß, grünbraun und verzweifelt gekrümmt, ein wahres Siegel der Freundschaft.

 
    66 Erster Zufall.
    Der Lastenfahrstuhl gab seine alte Seele im dritten Stockwerk auf, stöhnte noch einmal in seinen Eingeweiden, zitterte eine Weile und rührte sich nicht mehr.
    Der Hauswirt (dritter Stock) erschien nach einer halben Stunde, ein älterer unförmiger Mann in karierten Puschen; er hatte Mittagsschlaf gehalten, seufzte und ging in den Keller, wo er dunkle Operationen an der Maschine vornahm; und richtig setzte sich das alte Ding wieder in Bewegung. Im Parterre wartete Herr Machsoll (so hieß er) und kündigte mir die Wohnung wegen Eigenbedarf, er müsse einige kranke oder verarmte Verwandte oder Bekannte dort unterbringen, ganz klar war die Sache nicht, aber ich könne mir Zeit lassen und alles in Ruhe erledigen.
    Nun gut, dachte ich, du wolltest dein Leben ohnehin ändern. Der Geist des Zufalls funktionierte so glatt und geschmeidig wie ein Schweizer Uhrwerk.

 
    67 Zwei Tage später avisierte sich am Telefon ein Herr vom Tierschutzverein, es sei Anzeige gegen mich erstattet worden. Der Mann stellte sich am vierten Tag (ein windiger Freitag) als Glinz vor und wollte mein Domizil inspizieren.
    Die beiden Schildkröten mümmelten gerade Salat aus der geblümten Porzellan-Schüssel.
    Da, sagte er, ja, da sind se ja wirklich, echte Schildkröten! Und Sie halten die auf einem schmutzigen Dachboden! Das sei nicht artgerecht und verstoße gegen viele Gesetze des Tierschutzgedankens, die er mir vorlesen wolle,

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