Traveblut
Bäckerei.
Das Haus von Bernd Jochimsen lag an einer Parallelstraße der sich durch das gesamte Dorf ziehenden Hauptstraße. Es war ein einfaches Einfamilienhaus, vermutlich aus den achtziger Jahren. Neben der Klingel hing ein aus Ton gebranntes Namensschild: »Hier wohnen Bernd, Ulrike, Jonas und Lisa«.
Andresen betätigte die Klingel. Die Tür wurde von einer Frau Ende dreißig geöffnet.
»Guten Tag, Sie müssen Kommissar Kregel sein.« Sie hielt ihm die Hand hin. »Ich bin Ulrike Jochimsen.«
»Mein Name ist Andresen. Kommissar Kregel und ich bearbeiten diesen Fall gemeinsam.«
»Gut, dann kommen Sie bitte herein. Mein Mann erwartet Sie bereits.«
Sie gingen durch ins Wohnzimmer, das im hinteren Teil des Hauses lag. Bernd Jochimsen saß in einem Ledersessel und las in einem Buch. Als er aufblickte, sah er Andresen irritiert an. Er hatte offenbar jemand anders erwartet.
»Das ist Kommissar Andresen«, sagte Ulrike Jochimsen.
»Aha, ich lerne also das gesamte Lübecker Kommissariat kennen«, entgegnete Bernd Jochimsen, erhob sich aus dem Sessel und reichte Andresen die Hand. Sein überlegenes Lächeln und der herablassende Tonfall machten ihn Andresen sofort unsympathisch. »Nach dem Tod meiner Mutter habe ich bereits mit den Herren Kregel und Lorenz das Vergnügen gehabt. Umso erstaunter war ich, als ein Kollege von Ihnen anrief und um ein weiteres Gespräch bat. Was gibt es denn noch? Haben Sie etwas Neues zu berichten?«
Andresen führte sich vor Augen, dass die Familie von Brigitte Jochimsen davon ausging, dass es sich bei dem Todesfall um ein tragisches Unglück handelte. Offenbar hatten die Jochimsens noch keine Tageszeitung gelesen, sodass sie die Neuigkeiten wenigstens nicht auf diesem Weg hatten erfahren müssen. Dafür hatte Andresen jetzt die undankbare Aufgabe, es ihnen schonend beizubringen.
»Am besten nehmen Sie erst einmal wieder Platz«, begann er. »Sie haben vielleicht mitbekommen, dass gestern erneut eine Leiche in der Kanaltrave gefunden wurde. Fast an identischer Stelle wie Ihre Mutter. Aufgrund der Ähnlichkeit der beiden Fälle haben wir unmittelbar die Untersuchungen in Gang gesetzt.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Bernd Jochimsen.
Obwohl Jochimsen höchstens vierzig war, hatte Andresen das Gefühl, sein Gegenüber wäre zwanzig Jahre älter als er selbst. Jochimsen fuhr sich mit der Hand durch seine zum Seitenscheitel gekämmten Haare. Dann zog er ein Stofftuch aus dem konservativen schwarzen Jackett, das er über einem hellblauen Hemd trug, und schnäuzte sich. Andresen hatte gelesen, dass Jochimsen Banker bei der Sparkasse Bad Segeberg war. Zwar schien er heute Urlaub genommen zu haben, auf seine Arbeitskleidung hatte er offenbar aber nicht verzichten wollen.
»Wir können mittlerweile mit relativ großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass Ihre Mutter nicht durch eigenes Verschulden zu Tode gekommen ist«, antwortete Andresen.
Das Ehepaar Jochimsen blickte ihn mit großen Augen an.
»Was soll das bedeuten?«, fragte Ulrike Jochimsen fassungslos.
»Na, was soll das schon bedeuten«, fuhr Bernd Jochimsen sie an. »Offenbar hat jemand Mutter umgebracht.«
»Langsam, Herr Jochimsen. Ob es Mord war, wissen wir noch nicht. Ich würde Ihnen aber gerne noch ein paar Fragen stellen.«
»Sie kommen hierher, teilen uns lapidar mit, dass meine Mutter Opfer eines Verbrechens geworden ist, und wollen jetzt auch noch, dass wir Ihnen irgendwelche Fragen beantworten?« Bernd Jochimsen schnaubte energisch. Seine ohnehin schon geröteten Wangen färbten sich lila.
»Die Entwicklungen kommen auch für uns überraschend«, sagte Andresen. »Falls es sich bestätigt und Ihre Mutter tatsächlich Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist, werden wir alles Erdenkliche tun, um die Hintergründe aufzuklären.«
»Ich kann das nicht glauben, die arme Brigitte«, wimmerte Ulrike Jochimsen. »Wer macht denn so etwas?«
»Sehen Sie, was Sie angerichtet haben«, sagte Jochimsen laut. »Meine Frau wirft so etwas völlig aus dem Gleichgewicht. Die letzten Tage waren schwer genug.«
Andresen stöhnte innerlich auf. In solchen Momenten verfluchte er seinen Job.
»Schatz, geh ins Bad und wisch dir die Tränen aus dem Gesicht«, sagte Jochimsen sanfter. »Ich werde die Fragen des Kommissars beantworten, damit wir schnell wieder unsere Ruhe haben.«
Ulrike Jochimsen verließ das Wohnzimmer. Andresen wandte Jochimsen den Rücken zu und stellte sich vor das große Panoramafenster mit Blick auf den
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