Traveblut
wissen wir danach ein bisschen mehr.«
Er ärgerte sich, nicht mit Kregel unterwegs zu sein. Dessen bevorstehender Besuch bei dem Lebensgefährten von Katharina Kock war für die Ermittlungen wahrscheinlich von größerer Bedeutung als sein eigenes Gespräch mit ihrem Bruder.
Eine halbe Stunde später wusste er, dass er mit seiner Vermutung richtiggelegen hatte. Das Gespräch mit Sven Kock war tatsächlich wenig aufschlussreich gewesen. Kock war ein wortkarger Mann, der kaum in der Lage gewesen war, Trauer über den Tod seiner Schwester zu zeigen. Zudem stellte sich heraus, dass er lediglich der Halbbruder von Katharina war und nur wenig Kontakt zu ihr gehabt hatte. Unbefriedigt hatte sich Andresen von Kock verabschiedet und angekündigt, dass man ihm in den nächsten Tagen möglicherweise einen weiteren Besuch abstatten werde.
Im Präsidium war kaum noch etwas los, als Andresen zurückkehrte. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und machte sich Notizen zu den Gesprächen, die er geführt hatte. Dann versuchte er, eine Art Stammbaum der Familien Kock und Jochimsen anzufertigen.
Gegen halb sieben packte er seine Sachen zusammen und machte Feierabend. Kregel war nicht mehr aufgetaucht. Er musste bis morgen auf neue Erkenntnisse warten.
Andresen beschloss, zu Fuß zu gehen und seinen Wagen in der Tiefgarage stehen zu lassen. Ein Spaziergang würde ihm helfen, wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
Zu Hause angekommen, schob er sich eine Fertiglasagne in den Backofen und setzte sich vor den Fernseher. Ziellos zappte er von einem Programm zum anderen. Nachdem er gegessen hatte, ging er ins Badezimmer, sortierte seine dreckige Wäsche und steckte sie in die Waschmaschine. Dabei war er in Gedanken bei den Ermittlungen. Was hatten die beiden toten Frauen miteinander zu tun gehabt? Oder waren sie der Willkür eines kaltblütigen Mörders zum Opfer gefallen?
Und dann gab es noch zwei weitere Dinge, die ihn beschäftigten. Zu gern wollte er Ida-Marie anrufen und fragen, was heute Nachmittag los gewesen war, aber er traute sich nicht. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er es darauf anlegte, sie zu treffen. Es war offensichtlich gewesen, dass sie glaubte, er wolle mehr von ihr als freundschaftlichen Kontakt. Das musste endlich ein Ende haben. Er liebte Wiebke, und Ida-Marie war nichts anderes als seine Kollegin.
Wiebke. Er griff zum Telefon und wählte ihre Nummer, um im nächsten Augenblick wieder aufzulegen. Er sehnte sich nach ihr und war gleichzeitig seltsam ängstlich, wenn er an die Zukunft dachte. Ihre gemeinsame Zukunft in einem verlassenen, umgebauten Bauernhaus direkt am Meer. War es die Angst davor, der Stadt den Rücken zu kehren und aufs Land zu ziehen? Die Angst davor, noch einmal mit einer Frau ein gemeinsames Zuhause aufzubauen und sich eines Tages wieder davon trennen zu müssen? Die Trennung von Rita hatte tiefe Spuren hinterlassen.
Vielleicht war es aber auch etwas ganz anderes. Denn seitdem Ida-Marie im vergangenen Jahr zur Kripo Lübeck gestoßen war, hatte sich seine Beziehung zu Wiebke verändert. Wiebke war zunehmend eifersüchtig geworden, und er fragte sich allmählich, ob ihre Besorgnis womöglich berechtigt war.
Um halb zehn schlief er schließlich vor dem Fernseher ein. Eine knappe Stunde später wachte er mit verspanntem Rücken wieder auf. Er hatte von Wiebke geträumt. Und von Ida-Marie. Obwohl er keine Details mehr abrufen konnte, fühlte er sich unwohl.
8
Als es endlich dunkel war, suchte er Schutz im Schatten der Bäume. Sie gaben ihm ein Gefühl von Sicherheit. Die Bäume hielten den Regen, der im Tagesverlauf immer stärker geworden war, weitestgehend ab. Er stellte sich mit dem Rücken dicht an einen breiten Stamm. Seine Hände tasteten behutsam über die Rinde.
Von hier aus hatte er alles im Blick. Die letzten Stunden war er ziellos herumgeirrt. Am Morgen hatte er leichte Panik verspürt, als er aufgewacht war. Das Ganze ging nicht spurlos an ihm vorbei. Die Polizei hatte hektische Betriebsamkeit an den Tag gelegt. Er hatte sie die ganze Zeit über beobachtet. Wussten sie bereits etwas? Nein, das konnte unmöglich sein. Er hatte alles dafür getan, dass sie nicht dahinterkommen konnten. Noch nicht.
Immerhin wusste er jetzt, wer der Mann war, den er gestern Abend beobachtet hatte. Im ersten Moment war er irritiert gewesen, als er ihn gesehen hatte. Nachdem ihm klar geworden war, dass der Mann bei der Kriminalpolizei arbeitete, hatte er sich wieder beruhigt. Die
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