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Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Schlennstedt
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dunklen Kleidung ab. Sie sah so friedlich aus, wie sie da zusammengekrümmt im Anhänger lag.
    Jetzt stand der schwierigste Teil des Ganzen bevor. Er musste sie aus dem Karren hieven und bis ans Wasser tragen. Dabei durfte sie auf keinen Fall wach werden. Er schloss für einen Moment die Augen, dann hob er sie aus dem Anhänger und wuchtete sie auf seine Schultern.
    Plötzlich hielt er inne. Er hörte Stimmen. Sofort war er auf der Hut. Vorsichtig legte er ihren schlaffen Körper zurück in den Anhänger und deckte sie mit der Plane zu. Dann versteckte er sich hinter einem Baum und beobachtete die Umgebung. In der Dunkelheit war jedoch kaum etwas zu erkennen. Die Stimmen kamen aus Richtung der Hüxtertorbrücke. Es waren ausgelassene jugendliche Stimmen. Hatte die Diskothek etwa heute Abend geöffnet? Hätte er sich besser vorbereiten können? Es ärgerte ihn, wenn Dinge passierten, die vermeidbar gewesen wären.
    Die Stimmen waren jetzt ganz nah. Er verkroch sich hinter dem Baum und bohrte seine Finger in die Rinde. Geht bloß weiter! Haut ab! Er schloss die Augen und versuchte so leise wie möglich zu atmen. Nur nicht entdeckt werden.
    Als er sich schließlich sicher war, dass sie außer Sichtweite waren, begann er erneut, die Frau aus dem Karren auf seine Schultern zu heben. Sie war schwer. Schwerer als die anderen. Um ein Haar wäre er vornübergefallen.
    Etwa zwanzig Meter musste er zurücklegen. Sie kamen ihm fünfmal so lang vor. Als er endlich am Ufer angelangt war, legte er sie vorsichtig ins Gras. Er streckte sich und atmete tief durch. Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, eine Zigarette zu rauchen. Aber er wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Das Risiko, dass sie aufwachte, war zu groß.
    Er bückte sich und fasste sie am Oberkörper. Vorsichtig rollte er sie ins Wasser und hielt dabei ihren Kopf fest. Ein Kraftakt, der ihm alles abforderte. Er atmete tief aus und wieder ein. Seine Arme schmerzten, lange würde er sie nicht mehr festhalten können. Ein letztes Mal sah er sie an. Er spuckte ihr voller Hass ins Gesicht und tauchte ihren Kopf unter. Eine gefühlte Ewigkeit hielt er sie in dieser Position. Dann ließ er ab. Unruhig beobachtete er, wie sie wegdriftete.
    Der Mond tauchte zwischen den Wolken auf und warf einen hellen Schein aufs Wasser. Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch in die kalte Nachtluft. Erschöpft und zufrieden sah er dem leblos davontreibenden Körper hinterher.
    Anfangs registrierte er die Veränderung gar nicht. Dann traf sie ihn jedoch umso heftiger. Er war sich plötzlich sicher, dass der Körper seine Richtung geändert hatte. Er trieb nicht mehr im Strom. Er hatte angefangen, aus eigenem Antrieb zu schwimmen. Armschläge waren im Wasser zu sehen, hilfeschreiendes Flehen drang an seine Ohren. Sie lebte. Irgendetwas war schiefgegangen.
    Er musste reagieren. Aber wie? Was sollte er tun? Nervös zog er ein letztes Mal an seiner Zigarette und schnippte sie ins Wasser. Er blickte sich um, die ganze Zeit in der Angst, jemand könnte ihn entdecken. Hastig zog er seine Jacke aus und legte sie ins Gras. Tief einatmen. Dann der Sprung.
    Das Wasser war eiskalt. Wie hatte sie das bloß überleben können? Er sah, wie sie versuchte, ans andere Ufer zu gelangen. Sie hatte die Strömung in der Mitte des Kanals bereits hinter sich gelassen. Allzu weit war es nicht mehr, dann hatte sie die gegenüberliegende Seite erreicht. Das musste er um jeden Preis verhindern.
    Er kraulte, so schnell es seine Arme zuließen, hatte jedoch das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Die Strömung war zu stark. Trotzdem kämpfte er sich nach Luft schnappend weiter. Seine Kleidung war schwer und zog ihn nach unten. Wie schaffte es diese Frau bloß, so schnell voranzukommen? Er blickte hoch und erkannte, dass sie nur noch wenige Meter vom anderen Ufer entfernt war. Wenn sie erst einmal drüben war, würde er sie nicht mehr einholen können. Dann wäre es vorbei. Das durfte einfach nicht geschehen.
    Wieder sah er auf. Sie kletterte bereits an Land. Schlagartig realisierte er, dass er verloren hatte. Sie humpelte die Böschung in Richtung Straße, wo sie wahrscheinlich ein Auto anhalten und sich zur Polizei fahren lassen würde, um zu berichten, was er mit ihr gemacht hatte.
    Er hielt inne und überlegte, was er tun sollte. Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer. Er wollte noch nicht, dass es vorbei war. Zurückzuschwimmen schien ihm in diesem Moment die einzige Wahl.
    Er mobilisierte

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