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Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Schlennstedt
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nicht geirrt. Dritter Mord verhindert, hatte Sibius geschrieben.

14

    Andresen öffnete die Mail und begann zu lesen. Sibius schrieb, dass eine Frau namens Hanka Weichert heute in den frühen Morgenstunden im Präsidium erschienen war und verlangt hatte, mit einem Kollegen aus dem Kommissariat zu sprechen. Da noch niemand aus der Mordkommission anwesend gewesen war, hatte sie mit Polizeikommissar Jörg Thiel aus der nächtlichen Einsatzzentrale geredet.
    Andresen öffnete den Anhang der E-Mail, Thiels Gesprächsnotiz.
    »Hanka Weichert, Zeugenaussage.
    Nach Aufnahme der Personalien beginnt Hanka Weichert mit ihrer Aussage. Sie wirkt emotionslos, nach außen hin unberührt von dem, was sie zu sagen hat. Viel zu lange hat Hanka Weichert laut eigener Aussage geschwiegen. Kein Auge hat sie in der vergangenen Nacht zugemacht. Aber jetzt will sie reden. Sie muss der Polizei sagen, was mit ihr passiert ist.
    Gestern Abend hat sie ihren Wagen gegen zwanzig Uhr in der Percevalstraße abgestellt. Es ist dunkel gewesen, als sie die letzten Meter bis zu ihrer Wohnung am Wakenitzufer zu Fuß ging. An den Moment, in dem es geschehen ist, kann sie sich kaum noch erinnern. Alles ist viel zu schnell gegangen. Innerhalb von wenigen Sekunden hat sie ihr Bewusstsein verloren.
    Als Hanka Weichert beschreibt, wie sie aufgewacht ist, hat sie für einen Moment Tränen in den Augen. Sie berichtet detailliert, wie sie unter Wasser gedrückt worden ist. Weshalb sie ruhig geblieben und nicht in Panik verfallen ist, kann sie sich im Nachhinein nicht mehr erklären. Sie hatte schnell reagiert und sofort die Luft angehalten. Und als die unbekannten Hände abgelassen hatten, hat sie sich einfach davontreiben lassen. Erst in der Mitte des Kanals ist sie wieder aufgetaucht und hat vorsichtige Armschläge gewagt. Dann hat sie sich getraut, sich umzublicken, und gesehen, dass es ein Mann war, der da am Ufer stand. Details hat sie in der Dunkelheit nicht erkennen können. Aber es ist zweifelsfrei ein Mann gewesen.
    Sie berichtet, dass sie kurzzeitig in Panik geraten ist, als sie gesehen hat, dass der Mann ins Wasser sprang und hinter ihr herschwamm. Aber sofort hatte sie den Blick wieder auf das rettende Ufer gerichtet. Schließlich hatte sie es erreicht und ist so schnell sie konnte davongerannt. Auf der Hauptstraße hat sie versucht, ein Auto anzuhalten, letztendlich ist sie aber zu Fuß nach Hause gelaufen. In den Stunden danach hat sie viel nachgedacht. Hat sich in ihrer Wohnung verschanzt und ist kaum aus dem Bett aufgestanden. Die ganze Zeit hat sie sich die Frage nach dem Warum gestellt.
    Am Ende unseres Gesprächs gibt Hanka Weichert zu Protokoll, dass sie keinerlei Erklärung dafür hat, wer zu so etwas fähig ist und warum ausgerechnet sie überfallen wurde.«
    Andresen las Sibius' E-Mail noch einmal. Er schrieb, dass Thiel Hanka Weichert wieder nach Hause geschickt habe. Eine ärztliche Untersuchung und Polizeischutz hatte sie abgelehnt, jedoch zog Sibius in Betracht, sie observieren zu lassen.
    Andresen schüttelte den Kopf und atmete geräuschvoll aus. Es schien tatsächlich so zu sein, dass das, was er da gerade gelesen hatte, die Beschreibung des vereitelten dritten Mordes war.
    »Birger?«
    Er wandte sich in Richtung Tür und sah Sibius, der mit ernster Miene vor ihm stand. Er war so in den Inhalt der E-Mail vertieft gewesen, dass er nicht gehört hatte, dass Sibius sein Büro betreten hatte.
    »Du hast also gelesen, was passiert ist?«, fragte Sibius. »Unglaublich, oder?«
    »Allerdings.«
    »Zeichner ist auf hundertachtzig«, fuhr Sibius mit gedämpfter Stimme fort. »Er will mit dir persönlich sprechen.«
    »Weshalb? Wir tun unser Bestes, um den Fall aufzuklären.«
    »Wir müssen diesen Irren schnappen, bevor noch mehr passiert. Um ein Haar hätte er erneut zugeschlagen. Wir nehmen stattdessen einen Verdächtigen fest und veranstalten dafür einen gigantischen Aufwand, obwohl es zweifelhaft ist, dass er etwas mit der Sache zu tun hat. Eine tatsächlich brauchbare Spur liegt aber noch immer nicht vor.«
    Sibius wandte sich ab und wollte gehen. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um.
    »Diese Ermittlung wird wahrscheinlich meine letzte als Kommissariatsleiter sein. Ich möchte mit Anstand und ohne ein Fiasko gehen. Ich verlasse mich auf dich.«
    Andresen sah seinem Chef nachdenklich hinterher. Erst jetzt realisierte er, wie tief Sibius sein unfreiwilliger Abgang getroffen haben musste. Jetzt wollte er zumindest noch seinen

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