Traveblut
mal wieder eine gemeinsame Tour zu unternehmen.
Andresen wählte bewusst einen Umweg, damit er weder am Kanal entlang noch über die Hüxtertorbrücke gehen musste. Er wollte seine Gedanken nicht schon wieder mit den Bildern des Tatorts belasten. Als er in die Straße am Wakenitzufer einbog, erkannte er den zivilen Einsatzwagen sofort. Er nickte den beiden Kollegen zu, die Hanka Weichert observierten, ging weiter bis zur Haustür des Mehrfamilienhauses und klingelte. Durch die Gegensprechanlage stellte er sich vor und bat um das vereinbarte Gespräch. Hanka Weicherts Skepsis wich erst, als er ihr durch den Türspalt seine Marke hinhielt. Sie ließ ihn herein und führte ihn ins Wohnzimmer. Die Wohnung war geschmackvoll eingerichtet. Stilvoll, aber nicht protzig. Durchgeplant und doch wohnlich. Trotzdem fühlte sich Andresen nicht wohl. Es lag eine angespannte Stimmung in der Luft. Er hatte von Anfang an das Gefühl, als wäre Hanka Weichert auf der Hut.
»Bitte setzen Sie sich«, sagte sie und zeigte auf einen lederbezogenen Stuhl am Esstisch. »Möchten Sie etwas trinken?«
»Ein Wasser wäre nett«, antwortete Andresen.
Hanka Weichert verschwand im Flur und ging in die Küche. Andresen nutzte den Moment und sah sich um. Der Balkon, auf den man vom Wohnzimmer aus gelangte, bot einen hübschen Blick auf die Wakenitz und die gegenüberliegenden Villen.
Sie kam mit zwei Gläsern Wasser und einem Teller mit Keksen auf einem Tablett zurück. Vorsichtig stellte sie es auf dem Esstisch ab. Andresen schätzte Hanka Weichert auf Mitte vierzig. Mit ihren brünetten langen Haaren sah sie attraktiv aus, gleichzeitig umgab sie jedoch eine Traurigkeit, die sie älter wirken ließ, als sie wahrscheinlich tatsächlich war.
»Was geschehen ist, tut mir sehr leid für Sie«, begann Andresen das Gespräch. »Sie können sich sicher sein, dass wir alles Erdenkliche tun, um den Täter zu fassen.«
Sie musterte ihn und verzog dabei keine Miene. Andresen fragte sich, ob sie tatsächlich alles Menschenmögliche taten. Er hatte das Gefühl, dass seine Worte angesichts des Überfalls für Hanka Weichert beinahe höhnisch klingen mussten.
»Was wollen Sie denn noch?«, fragte sie plötzlich. »Ich habe doch bereits alles Ihrem Kollegen erzählt. Glauben Sie etwa, es ist einfach für mich, darüber zu sprechen?«
»Nein, natürlich nicht. Mich interessiert auch weniger der Tathergang als solcher«, sagte er. »Ich würde gerne mehr über Sie als Person erfahren.«
»Über mich?«, fragte Hanka Weichert überrascht. »Was soll denn das werden?«
»Wir haben Gründe zu glauben, dass Sie nicht zufällig Opfer dieses Verbrechens geworden sind«, antwortete Andresen.
Sie blickte ihn mit großen Augen an und stellte ihr Glas zurück auf den Tisch. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Das glaube ich nicht, Sie müssen sich irren. Warum sollte das jemand bewusst getan haben?«
»Wir gehen von einem Serientäter aus.«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
»Sie haben vielleicht von den beiden Todesfällen der vergangenen Tage gehört. Der Täter ist jeweils identisch vorgegangen. Wahrscheinlich haben Sie einen großen Schutzengel gehabt.«
»Was erzählen Sie denn da? Welche beiden Todesfälle?«
Es brauchte einen Moment, ehe Andresen verstand. Niemand hatte Hanka Weichert gesagt, dass sie beinahe das dritte Opfer des Mörders geworden war. Sie wusste vielleicht nicht einmal, dass vor wenigen Tagen zwei Leichen in der Kanaltrave gefunden worden waren. In aller Kürze klärte er sie über die Morde an Brigitte Jochimsen und Katharina Kock auf.
»Wenn wir das Motiv des Mörders kennen, können wir wichtige Rückschlüsse ziehen. Leider ist das Motiv in dieser Ermittlung die große Unbekannte. Deshalb ist Ihre Mithilfe so ungemein wichtig für uns.«
Beinahe unmerklich nickte sie.
»Gut«, sagte Andresen. »Dann stelle ich Ihnen jetzt meine Fragen.« Zu Beginn klärte er einige Details, die die Tatnacht betrafen. Ihn interessierte vor allem, was sie vom Täter wahrgenommen hatte, inwiefern sie sich Details gemerkt hatte und ob sie Verhaltensweisen von ihm einzuschätzen vermochte. Viel mehr als das, was sie bereits ausgesagt hatte, konnte Hanka Weichert hierzu jedoch nicht berichten. Sie war sich allerdings sicher, dass es sich um einen Mann gehandelt hatte, der zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein musste und blonde, halblange Haare hatte.
Andresen musste an Rehm denken. Die Beschreibung passte auf ihn. Es wunderte ihn
Weitere Kostenlose Bücher