Traveblut
Mutter nicht antun.«
»Wie du meinst.«
»Hörst du mir eigentlich zu?«
»Es ist gerade nicht so passend. Diese Ermittlungen rauben mir wirklich –«
»Ja, ja, natürlich. Die Ermittlungen gehen immer vor. Selbst wenn es mir mal nicht so gut geht.«
Andresen schwieg. Ihr Vorwurf war berechtigt, und trotzdem konnte er die Situation nicht ändern. Wenn er mitten in einer schwierigen Ermittlung steckte, war alles andere um ihn herum zweitrangig. Ein Schicksal, das er wohl mit den meisten Kriminalpolizisten teilte.
»Bist du noch dran?«
»Ja.«
»Ich komme Samstag zurück. Schafft ihr es, den Fall bis dahin aufzuklären? Es wäre schön, wenn du deinen Kopf dann wieder frei hättest.«
»Ich hoffe.«
»Dann viel Erfolg dabei. Wenn dir nach Telefonieren ist, hast du meine Nummer ja.«
»Wiebke, warte mal«, sagte Andresen gerade noch rechtzeitig, ehe sie aufgelegt hätte. »Tut mir leid, es ist alles ein bisschen viel momentan. Die Ermittlungen, unser Umzug, die letzten Tage in meinem Haus und …«
»Und?«
»Das Ganze eben«, antwortete er zögerlich. Er hatte gerade noch einmal die Kurve bekommen. Um ein Haar hätte er Ida-Marie erwähnt.
»Ich verstehe dich ja«, sagte sie mitfühlend. »Bald ist alles gut.«
Sie verabschiedeten sich und vereinbarten, erst am Freitagabend wieder miteinander zu telefonieren.
Um kurz vor sechs verließ Andresen das Präsidium. Um dem zähfließenden Verkehr auf der Moltkestraße zu entgehen, bog er in die Straße am Wakenitzufer ein.
Es war gerade mal ein paar Stunden her, dass er hier gewesen war. Das Gespräch mit Hanka Weichert und ihr seltsames Zögern klangen noch immer in ihm nach.
Kurz hinter dem Haus, in dem sie wohnte, erkannte er im Rückspiegel, dass ein Auto mitten auf der Straße vor dem Haus hielt. Andresen fuhr rechts ran und beobachtete die Situation im Außenspiegel.
Der Fahrer des Golfs beugte sich herüber und stieß die Beifahrertür auf. Im nächsten Moment stürzte Hanka Weichert aus der Haustür und kollidierte um ein Haar mit einem Fahrradfahrer. Hastig stieg sie in den Wagen ein und warf die Tür zu. Der Fahrer legte einen Kavalierstart hin und fuhr davon.
Instinktiv setzte Andresen aus der Parklücke heraus und folgte dem Golf. Das Gefühl, dass mit Hanka Weichert etwas nicht stimmte, verstärkte sich.
15
Er war erschöpft, aber erleichtert. Es hatte nicht viel gefehlt und es wäre schiefgegangen. Innerlich hatte er sich bereits damit abgefunden, dass sein Plan gescheitert war. Und alles nur, weil er nicht konsequent genug gewesen war. Aber das Blatt hatte sich noch einmal gewendet.
Er musste sich konzentrieren, noch gewissenhafter seine Vorkehrungen treffen. Denn eines stand fest: Er hatte ein Ziel. Und dieses Ziel hatte absolute Priorität. Er durfte keine Risiken mehr eingehen. Wenn Hanka Weichert ihn nicht erkannt hatte, dann hatte er großes Glück gehabt. Es hätte allerdings auch ganz anders ausgehen können. Noch wusste er nicht genau, was er mit ihr machen sollte. Kurzzeitig hatte er überlegt, sie am Leben zu lassen. Aber ihm war eine andere Idee gekommen.
Die Polizei tappte noch immer im Dunkeln, da war er sich sicher. Sie hatten keine Ahnung, was hinter dem Ganzen im Verborgenen schlummerte. Noch ein paar Tage musste es dabei bleiben. Dann wäre endlich alles vorbei. Nach all den Jahren und dem Leid, das er erfahren hatte.
Plötzlich schrak er zusammen. Es hatte an der Haustür geklingelt. Wer zum Teufel war das? Hatten sie ihn etwa doch ausfindig gemacht? Wussten sie mehr, als er annahm?
Er schob die Gardine ein Stück zur Seite und sah, dass es der Mann vom Paketdienst war. Sofort spürte er die Erleichterung, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, etwas bestellt zu haben. Sein Pulsschlag fuhr wieder herunter. Er öffnete die Tür, nahm ein Päckchen in Empfang und legte es vor sich auf den Küchentisch. Vorsichtig begann er es auszupacken.
Im ersten Moment verstand er nicht, was er sah. Erst nach und nach realisierte er, worum es sich handelte. Langsam und verstört schüttelte er den Kopf. Dann ging er einen Schritt zurück und trat mit voller Wucht gegen den Küchentisch. Das Paket flog durch den Raum und landete auf dem Kühlschrank. Der Tisch kippte um und fiel gegen das Regal, in dem er sein Geschirr aufbewahrte. Mehrere Tassen und Teller polterten auf den PVC-Boden und zerbarsten.
Wie wild geworden lief er im Wohnzimmer auf und ab, ehe er schließlich in einer Ecke zusammensank und in Tränen
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