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Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Schlennstedt
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Schnaps?«
    Hanka Weichert zuckte mit den Schultern, ohne eine Antwort zu geben. Dann wandte sie sich ab und vergrub das Gesicht in den Händen.
    »Wärst du bloß nicht gleich zu den Bullen gerannt«, sagte Piet. »Jetzt haben die uns womöglich auf dem Kieker.«
    »Ich wäre fast gestorben. Irgendetwas musste ich doch tun.«
    »Süße, locker bleiben. Was auch immer dahintersteckt, es wird nicht gegen dich gerichtet sein. Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Wenn das mit dieser ganzen Scheiße, die hier im Hafen abgeht, zu tun hat, dann können die was erleben. Die werden dir nicht noch einmal zu nahe kommen.«
    Hankas Weicherts Miene verriet Skepsis. Langsam wanderte ihr Blick durch den Raum. Andresen glaubte zu erkennen, dass sie den grauhaarigen Mann fixierte. Es schien, als nicke sie ihm zu. Dann sah sie wieder ihren Begleiter an.
    »Piet, wir müssen dir etwas sagen«, brachte sie schließlich hervor.
    Um ein Haar hätte Andresen vergessen, dass sie ihn durch den Fensterschlitz sehen konnten. Instinktiv trat er einen Schritt nach hinten. Im nächsten Moment rutschte er auf dem feuchten Decksboden aus und landete mit dem Hintern auf den Holzplanken.
    »Was war das?«, rief Hanka Weichert.
    Verdammt, durchfuhr es Andresen. Sie hatten ihn gehört. Hastig rappelte er sich auf und sprang an Land. So schnell er konnte, rannte er vom Boot weg in die Richtung, aus der er gekommen war. In der Dunkelheit hatte er allerdings Probleme, sich zu orientieren.
    Er blickte sich um, sah die »Perle« und die zwei Männer, die an Deck standen und gestikulierten. Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, rannte er weiter. Um die Kurve auf den abzweigenden Weg. Im nächsten Augenblick stolperte er und verlor den Boden unter den Füßen. Er hob ab. Als er wieder landete, wollte er nur noch schreien. Vor Schmerz.
    Zu Hause vor dem Badezimmerspiegel realisierte er das ganze Ausmaß seines Sturzes über die Absperrkette, die er bei seiner Flucht in der Dunkelheit nicht gesehen hatte. Das Kinn und die rechte Wange waren komplett aufgeschürft. Winzige Blutstropfen quollen aus den länglichen Risswunden, die schwarz vor Schmutz waren. Seine Hose war an beiden Knien aufgerissen. Auch seine Jacke war im Brustbereich zerfetzt. Aber am schlimmsten hatte es seine Handinnenflächen erwischt. Vorsichtig hielt er sie unter den kalten Wasserstrahl und spülte den Dreck aus den Wunden. Es brannte derart, dass ihm Tränen in die Augen stiegen.
    Verfluchte Kette. Hätte er sich bloß nicht noch einmal umgesehen. Er stützte sich mit den Unterarmen aufs Waschbecken, sah in den Spiegel und fühlte eine Mischung aus Wut und Energie in sich aufsteigen. Wut auf sich selbst und auf die Absperrkette im Fischereihafen. Energie, weil Hanka Weichert offenbar tatsächlich mehr wusste, als sie ihm bei ihrem ersten Gespräch erzählt hatte. Sie und der grauhaarige Bootsbesitzer hatten Piet, dem Jüngeren, etwas Wichtiges sagen wollen. Dazu war es dank seines ärgerlichen Ausrutschers allerdings nicht mehr gekommen.
    Am nächsten Morgen weckte ihn sein Radiowecker um kurz vor sieben. Im ersten Moment schien alles in Ordnung. Aber dann fuhr der Schmerz mit Vehemenz in seinen Körper. Nicht nur die Wunden taten weh. Jeder einzelne Knochen schmerzte so sehr, als hätte sie ihm jemand nacheinander gebrochen.
    Er hatte bereits den Hörer in der Hand, um sich ein Taxi zu bestellen, als er es sich doch noch einmal anders überlegte und mit seinem eigenen Wagen ins Präsidium fuhr. Unterwegs dachte er darüber nach, was er seinen Kollegen sagen sollte. Dass er beim Joggen gestürzt war? Oder die Treppe hinuntergefallen? Oder einfach die Wahrheit?
    Er entschied sich für die Wahrheit. Schließlich mussten sie sich so schnell wie möglich um Hanka Weichert und das, was er gestern Abend gehört hatte, kümmern. Kregel oder Ida-Marie sollten ihr weiter auf den Zahn fühlen. Er selbst würde heute kaum dazu kommen; gleich hatte er den Termin mit der Schulleiterin der Blücher-Schule, außerdem musste er dringend mit Eva Matthis sprechen. Niemand wusste, warum sie im Präsidium gewesen war. Keiner schien sie gesehen, geschweige denn mit ihr gesprochen zu haben. Und dann gab es noch Oliver Rehm, auch mit ihm mussten sie reden.
    Andresen versuchte möglichst unauffällig über den Flur zu kommen. Er betrat sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Es war kurz vor halb neun. Um zehn Uhr hatte er den Termin an der Grundschule. Vorher war noch die morgendliche Besprechung

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