Traveblut
ausbrach. Warum nur?, schrie er innerlich. Hatte dieses Martyrium denn niemals ein Ende? Was für ein Mensch war sie bloß? War sie überhaupt ein Mensch?
In diesem Moment schwor er sich, dass er das Ganze noch vor dem Wochenende hinter sich bringen würde. Nichts würde mehr übrig bleiben von dem Schmerz, den er seit so langer Zeit mit sich herumtrug. Nur noch wenige Male schlafen, dann wäre es so weit. Dieses eine Mal würde sie ihn nicht aus der Fassung bringen können. Die Zeit der Rache war endgültig gekommen.
16
Lange würde es nicht mehr dauern, da war sie sich sicher. Was genau sein krankes Hirn als Nächstes plante, vermochte sie nicht zu sagen. Allmählich musste sie jedoch selbst aktiv werden, ehe er ihr zuvorkäme.
Gewissenhaft hatte sie in den vergangenen Tagen alles geregelt. Sie würde Lübeck verlassen, und niemand könnte sie mit der Tat in Verbindung bringen. Sie hatte sogar noch ein paar falsche Spuren legen können, die ihr weitere Zeit brachten. Zeit, die sie gut gebrauchen konnte.
Sie hatte lange darüber nachgedacht, ob es notwendig war, bis zum Äußersten zu gehen. Wer würde ihm schon glauben? Seine Geschichte klang doch absurd, und sicherlich würde er auch maßlos übertreiben. Trotzdem wollte sie auf Nummer sicher gehen. Wenn er erst einmal tot war, würde er keinen Ärger mehr machen, und sie konnte endlich wieder ein sorgenfreies Leben führen. Ohne Angst davor, dass jemals ein Wort darüber verloren würde, was damals vorgefallen war.
Die Angst, die sie kurzzeitig verspürt hatte, als sie realisierte, dass er nach all den Jahren seine Rache suchte, war gewichen. Sie war entschlossen, ihn für immer zum Schweigen zu bringen.
Sie ahnte, dass er sie bereits beobachtete. Spürte die Blicke, sobald sie ihre Wohnung verließ, und seinen Schatten, wenn sie die Straßenseite wechselte. Er war nicht dumm, das wusste sie. Er war akribisch vorgegangen, ansonsten hätte er Brigitte Jochimsen und Katharina Kock nicht umbringen können, ohne dass ihn jemand dabei beobachtet hatte. Die Polizei war noch immer ahnungslos, am liebsten hätte sie ihr einen kleinen Tipp gegeben. Doch damit hätte sie riskiert, dass alles aufflog. Wenn sie ihm den Prozess machten, würde er reden. Und vielleicht gab es ja doch Menschen, die ihm seine Version der Geschichte abnahmen. Nein, es gab keine Alternative für sie. Er musste sterben.
Aber wie bloß sollte sie den Spieß umdrehen, wenn er ihr bereits auf den Fersen war? Sie brauchte mehr Informationen über ihn. Musste seine Schwachstellen in Erfahrung bringen und sich seiner Beobachtung entziehen, ohne dass er merkte, dass sie Bescheid wusste.
Eine kleine Überraschung hatte sie schon für ihn vorbereitet. Es ärgerte sie, dass sie seine Reaktion nicht hatte sehen können. Denn damit hatte er bestimmt nicht gerechnet. Ein kleines Geschenk, das ihn an damals erinnern würde.
Sie lächelte zufrieden. Sie hatte sich für diesen Weg entschieden, also musste sie ihn auch zu Ende gehen. Es gab kein Zurück mehr. Ihr Leben war ihr wichtiger als seines. Friss oder stirb war die Devise. Dann lieber fressen.
17
In der Dämmerung fiel es ihm schwer, den dunkelblauen Wagen nicht aus den Augen zu verlieren. Andresens Tachonadel zeigte weit mehr als hundert Stundenkilometer an, als sie auf der Travemünder Allee in Höhe Israelsdorf unterwegs waren. Zweifel plagten ihn. Was erhoffte er sich davon, Hanka Weichert und den unbekannten Golffahrer zu verfolgen? Die beiden würden ihn kaum zu dem Mörder von Brigitte Jochimsen und Katharina Kock führen.
Er musste an das denken, was ihm eingefallen war, als er heute Nachmittag auf dem Steg an der Wakenitz gesessen hatte. Was, wenn sich Hanka Weichert die ganze Geschichte nur ausgedacht hatte? Vielleicht hatte sie in der Zeitung über die Morde gelesen und wollte sich wichtigmachen. Oder es war ein Ablenkungsmanöver, weil sie jemanden schützen wollte. Jemanden, der zwei Frauen betäubt und anschließend ertränkt hatte. Und der in diesem Moment nur hundert Meter vor ihm in einem dunkelblauen Golf in Richtung Ostsee raste.
Nichts ergab einen Sinn. Eva Matthis mit ihrer heimlichen Liebe zu Katharina Kock; Oliver Rehm, der vor der Polizei geflüchtet war, weil er offenbar Angst hatte, verdächtigt zu werden, und jetzt Hanka Weichert.
Bei Travemünde verließ der Golf die Bundesstraße und fuhr in Richtung des alten Ortskerns. In der Nähe der Kirche wurde er langsamer und parkte am Seitenrand. Andresen fuhr im
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