Traveler - das Finale
Vormittag hatten Gerald und Preston riesige Fotos der vierzehn vermissten Kinder aufgehängt. Ihre fröhlichen Gesichter beeindruckten Michael nicht. Es kam täglich vor, dass Kinder starben, und in diesem Fall geschah es wenigstens für einen guten Zweck.
Donna führte Michael aufs Podium und stellte ihm den Präsidenten des Presseclubs vor. Ein paar Minuten später wurde die Pressekonferenz eröffnet. Donna hatte die Einführung des Präsidenten selbst geschrieben, und sie beinhaltete eine glorifizierende, vollkommen frei erfundene Kurzfassung von Michaels Karriere. Vor einem Monat hatten Mitarbeiter der Evergreen Foundation Michaels Biografie zusammengestellt und ihm zahlreiche Tätigkeiten bei gemeinnützigen Organisationen angedichtet, die allesamt der Bruderschaft angehörten. Dass irgendjemand die Angaben überprüfen würde, stand nicht zu befürchten. Für den Fall der Fälle hatte man Falschinformationen auf verschiedenen Webseiten platziert.
Das Publikum applaudierte zögerlich, und der Präsident setzte sich wieder. Während die vermissten Kinder hinter seinem Rücken herablächelten, trank Michael einen Schluck Wasser und trat ans Rednerpult. Er schaute in Hunderte von Gesichtern – einige waren neugierig, andere gelangweilt. Nathan Boone stand mit mürrischer Miene am Ende eines Seitengangs.
Michael beschloss, Boones Geschichte im Laufe der nächsten Wochen enden zu lassen.
»Zunächst einmal möchte ich mich beim Veranstaltungskomitee des Presseclubs für die heutige Einladung bedanken. Als wir auf unserem Weg hierher über den Hollywood Boulevard fuhren, habe ich meine Freundin Donna Gleason gefragt, was mich in diesem Saal erwartet. Donna hat mir verraten, dass es sich bei Ihnen um ein kritisches Publikum handelt und ich Ihre Zeit nicht umsonst in Anspruch nehmen darf.«
Einige Reporter nickten, die meisten schienen sich ein wenig zu entspannen. Michael begriff, dass die Fotos der vermissten Kinder das Publikum verstört hatten.
»Es ist nichts Falsches daran, ein kritisches Publikum zu sein. Es bedeutet lediglich, dass Sie intelligent, gut ausgebildet und gut informiert sind. Wenn wir unsere Kinder retten wollen, sind wir auf Leute wie Sie angewiesen.
Bevor ich Ihnen meinen Vorschlag unterbreite, nehme ich eine Frage vorweg, die vielen von Ihnen sicherlich gerade durch den Kopf geht: ›Wie soll ein Außenstehender, der weder der Polizei noch der Regierung angehört, die Krise bewältigen, die über Kaliforniens Familien hereingebrochen ist?‹ Ihre Frage ist völlig berechtigt, und sie ist schnell beantwortet. Ich denke, gerade die Tatsache, dass ich diesen Institutionen nicht angehöre, ist in diesem Falle hilfreich. Ich kann Ihr Problem aus einer anderen Perspektive betrachten und ungewöhnliche Lösungsvorschläge anbieten.
Die Evergreen Foundation besteht nunmehr seit über fünfzig Jahren. Wir sind eine internationale, philanthropisch ausgerichtete Organisation mit Sitz in London und New York. Unsere Ziele sind ebenso idealistisch wie ehrgeizig. Wir haben uns der Gesundheit, Sicherheit und Stabilität unserer Gesellschaft verschrieben. Im Laufe der Jahre haben wir die Projekte von Tausenden von Wissenschaftlern, die auf den Gebieten Medizin und Genetik forschen, in über dreißig Ländern
unterstützt. In letzter Zeit haben wir unser Augenmerk auf die Entwicklung neuer Technologien zur Bekämpfung von Terror und Kriminalität gerichtet. Unsere Stiftung hegt keine finanziellen oder politischen Ambitionen. Wir wollen einfach nur die Welt verbessern und sie in einen gesunden Ort des Wohlstands verwandeln, an dem die Angst keinen Platz mehr hat.
Und gerade hier in Kalifornien nehme ich viel Angst wahr.« Michael zeigte auf die Fotos in seinem Rücken. »Vierzehn Kinder sind in den letzten Wochen spurlos verschwunden. Und die Dunkelziffer liegt vielleicht noch höher. Ein Monster schleicht durch unsere Metropolen und Kleinstädte, eine sadistische Kreatur, die es darauf abgesehen hat, unsere Kinder zu verschleppen und zu ermorden – jene geliebten Jungen und Mädchen, die auf unseren Schutz angewiesen sind. Aber wie haben die Behörden auf die Bedrohung reagiert? Die Eltern kennen die Antwort bereits. Sie, die Journalisten, kennen sie ebenfalls. Dennoch scheint niemand den Mut zu besitzen, die Wahrheit laut auszusprechen. Die Politiker und die selbst ernannten Experten haben nichts unternommen.«
Michael hielt für einen Moment inne, um die Gesichter im Publikum zu studieren. Die
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